Ein Café Philo im Alten Schloss Bern-Bümpliz
des Philosophentrios Mastronardi-Staude-Roth
Das scheint Sokrates zu wissen:
„...,
dass ja eben dies das größte Gut für den Menschen ist, ..[ ],
über welche ihr mich reden und mich selbst und andere prüfen hört,
ein Leben ohne Selbsterforschung aber gar nicht verdient gelebt zu
werden, ...“1
Das für den
2.2.2013, 14-16 angekündigte Thema (kurz vor Fasnacht) reizt zu einem
Rollenspiel. So versuche also ich mich als Sokrates. Der hatte ja,
wie Sie vielleicht wissen, eine Einsagerin, die Diotima. Und er hatte
eine Mutter … DAZU GLEICH / =später
Meine elektronische
Einsagerin für diesen Text ist (hauptsächlich) Christine Mok-Wendt.
Mike
Roth Januar
2013
MAN
MUSS DEN folgenden TEXT ABER NICHT GELESEN HABEN
und
kann sich auch
unbelesen ins Gespräch hineinbegeben!
Sokrates selber, hat
wohl mehr gesprochen als gelesen / geschrieben … Aber Manche
lesen auch gern vorab etwas. Für die steht das Folgende bereit.
Wissen des Nichtwissens ?
Sokrates
fragt seinen Gesprächspartner ( in Platons Dialog Theaitetos)2
, ob er gehört habe, dass er der Sohn einer tüchtigen Hebamme, der
Phainarete, sei, was der Befragte bejaht. Die Frage danach, ob er
auch wisse, dass Sokrates dieselbe Kunst ausübe wie die Hebamme
verneint er, worauf Sokrates antwortet: „Wisse
denn, dem ist so. Verrat mich aber nicht, ... denn es weiss niemand
von mir, dass ich diese Kunst besitze. Da es nun die Leute nicht
wissen, so sagen sie mir auch dieses zwar nicht nach, wohl aber, dass
ich der wunderlichste aller Menschen wäre und alle zum Zweifeln
brächte. Gewiss hast du das gehört“
[149 St 1 A] - Theaitetos bejaht.
Sokrates erklärt nun ausführlich, was unter dieser 'Kunst'
zu verstehen ist, dem Gesprächspartner bei der Geburt von
GedankenKindern beizustehen. (Das könnte auch in einem Café Philo
sein)
Die 'Kunst'
beinhaltet, dass der Lehrende/Fragende den Lernenden/Befragten darin
unterstützt, die Erkenntnis/Wahrheit -in einem Prozess ähnlich dem
Geburtsvorgang- ans Licht zu bringen. Der Lernende wird dabei durch
geschickte Fragen angeleitet, sich selbständig mit einem Problem
auseinanderzusetzen, Lösungswege und Lösungen werden nicht
vorgegeben, sondern sollen selbst entwickelt bzw. gefunden werden. Da
das meist nicht einfach ist, kann es die Befragten in die Situation
des Zweifelns an sich selbst bringen. Und 'zweifeln' wird auch die
eine oder andere Gebärende, wenn sie schon ganz erschöpft ist, und
das Kind immer noch nicht 'ans Licht' will... (sagt Mutter Christine)
Methodisch
sieht das so aus, dass der Fragende immer wieder mit weiterem
Nachfragen oder auch Zurückgeben von Fragen in der Form der 'W-Fragen'
(z.B.:Warum meinst Du, dass das so und so ist?/ Was ist das, das Du
da meinst?), die Befragten dazu bringt, selbst Antworten zu finden /
zu geben. Es findet ein Dialog, oft ein Zwiegespräch
zwischen 'Vordenker'
(Sokrates) und 'Mitdenker'
statt, wobei die Selbstläuterung von Beiden
das Ziel ist: „...ein Philosophieren,
das ... auf Prozesse
des Bewusstwerdens ausgelegt ist.“3
Der Sokratische Dialog
Im
6. Kapitel „Definition, Dialektik und das Gute“ seines
schmalen Bändchens PLATO beschreibt der Oxford Professor Hare4
den philosophischen Hauptpunkt von Sokrates
als „Rechenschaft geben“. Darin liege der Kern des neu aufkommenden
Philosophierens. Platon und Sokrates argumentieren, dass es nicht
hinreiche, richtige Meinungen (orthoDOXA) zu haben. Erst wenn diese
gerechtfertigt werden, können sie als sicher und zuverlässig, als
WISSEN gelten: „Wenn wir die Wörter
verstehen können, in denen wir die uns beschäftigenden Probleme
darlegen, dann können wir für sie im nächsten Schritt begründete
Lösungen suchen. Genau das ist das Anliegen der Philosophie“ (Hare
verbindet diese Aussage mit einem Verweis auf Wittgensteins Lehrer
Frege, der sich auf Sokrates Worte bezieht, mit der Aussage, dass das
'Wissen des Nichtwissens' vielen
als Vorbedingung des Lernens fehle.) Diese Problematik sieht Hare
im Dialog Euthyphron5
dargestellt. Besonders in Zeiten sittlicher oder politischer
Verunsicherung kann der Anschluss an die Mehrheitsmeinung nicht
ausreichen: wir müssen uns selber durchdenken / „we
have to think the thing out for ourselves“6.
Sokrates'
Methode der 'Prüfung' (ELENCHOS)
beschreibt
er als ein Entlocken von Antworten. Die Antworten
wurden dann ABER durch Sokrates oft zunichte gemacht, wenn er
nachweisen konnte, dass diese in Widerspruch zu Behauptungen standen,
die das jeweilige „Opfer“, oder sogar die Allgemeinheit, nicht
aufgeben wollte. Hare schlägt er vor, Platon
so zu interpretieren, dass die Definition, die in den
Selbstwiderspruch führt, abgelehnt werden muss.
Der
Pädagoge Martens7
thematisiert,
welche Bedeutung dem dialogisch an Argumenten und Gegenargumenten
orientierten Prozess des Denkens, der durch die sokratische Methode
bewirkt wird, zukommt: „Noch
vor fachphilosophischen Unterscheidungen und arbeitsteiligen
Einengungen einzelner Methoden und Richtungen besteht das Spezifikum
des sokratischen Philosophierens aber vor allem in seiner
lebensweltlichen Fülle und alltagssprachlichen Nähe,...“
und er verweist auf Adorno:
„Darin, daß die Philosophie
ihre Begriffe in einem so weiten Maß der von Allen gesprochenen
Sprache entlehnt, hat sie ihre Beziehung auf das Ganze; so, wie es
etwa Sokrates gegenwärtig gewesen sein mag, [ ], weil es Fragen
sind, die alle Menschen angehen und die auch in ihrer Sprache sich
behandeln lassen. Durch den Prozeß der Verfachlichung oder
Spezialisierung werden auch diese Termini betroffen, diese Worte, die
Sokrates noch an den Straßenecken verwandt hat, werden eingeengt.“8
Das sokratische Gespräch nach Nelson
Leonard
Nelson bezeichnet sich selbst als: „...getreuen
Schüler des SOKRATES und seines großen Schülers PLATON...“9,
so der Beginn seines Vortrags bei der 'Pädagogischen Gesellschaft'
Göttingen, dort 1922
gehalten, anlässlich der Gründung der
'Philosophisch-Politischen-Akademie' und 1929 posthum veröffentlicht.
Zentralaussage: „Die
sokratische Methode ist nämlich nicht die Kunst, Philosophie
zu lehren, sondern Philosophieren
zu lehren, nicht die Kunst, über Philosophen zu unterrichten,
sondern (uns)
zu Philosophen zu machen.“
Nelson10
gilt
als derjenige, der die sokratische Methode wiederbelebt habe. Bei aller Sympathie zur sokratischen Methode hat
Nelson Platon/Sokrates aber auch kritisiert, da Nelson sich beim
Philosophieren nicht als Andere-durch-Stromschläge-lähmender
(Menon11,
80a) 'Zitterrochen' verstehen wollte. Nelsons Modifikation besteht
darin, dass er sich statt um einen Zweierdialog um ein moderiertes
Gruppengespräch bemüht, in dem moderierende Gesprächsleiter sich
inhaltlich zurückhalten : „...
hier hängt alles davon ab, die (Teilnehmenden)
... von Anfang an auf sich zu
stellen, sie das Selbstgehen zu lehren, ohne dass sie darum allein
gehen, und diese Selbständigkeit so zu entwickeln, dass sie eines
Tages das Alleingehen wagen dürfen, weil sie die Obacht des
(Gesprächsleiters)
... durch die eigene Obacht
ersetzen.“12.
So
kommentiert Nelson die Stelle aus der Apologie:
„...ausgefragt, geprüft und ins Gebet genommen...“13,
als: „nicht um ihnen lehrend
eine neue Wahrheit zu vermitteln, sondern nur, um ihnen den Weg zu
zeigen, auf dem sie sich finden läßt.“
Dies, so scheint es, weiss Sokrates, selbst wenn er sonst nichts
weiss.
>>Sich-Wundern<<
- damit fängt das Philosophieren an. Sich-Wundern-Können,
auch noch mit fortschreitendem Alter, und jenes >>innere
Jauchzen<< (der ungewöhnliche Altphilologe Nietzsche, Anm.16) beim
interessierten Verfolgen der Wechselrede, sind vermutlich die
wichtigsten Quellen des Vergnügens und des philosophischen
Einsicht-Gewinnens beim Café Philo.
>>Wage
es nur, vernünftig zu sein [sapere aude]; fang nur an damit; wer die
Stunde hinausschiebt, in der er mit dem vernünftigen Leben anfängt,
der gleicht dem Toren, der wartet, bis der Fluss abgeflossen ist;
aber er strömt weiter und wird in alle Ewigkeit weiterströmen.<<
(Horaz, Epistolae 2, 40.)21
Literaturhinweise
Adorno, Theodor W., 1973:
Philosophische Terminologie, Band 1, Frankfurt/Main
Birnbacher, Dieter und Dieter
Krohn (Herausgeber), 2002: Das sokratische Gespräch, Reclam,
Stuttgart
Dietz, Cornelia: Der Platonische
Dialog im Rahmen der Kommunikationstheorie Gerold Ungeheuers.
Eine
Hausarbeit aus dem Wintersemester 1994/95 Uni Konstanz
Hare, Richard M., 1982: PLATO ,
Oxford University Press, Oxford
Hare, Richard M., 1990, aus dem
Englischen übersetzt v. Christiana Goldmann: Platon, Eine
Einführung,
Reclam, Stuttgart
Heckmann, Gustav, 1982: Das
sokratische Gespräch
Höffe , Ottfried, 2009:
Aristoteles: Die Hauptwerke, Francke Verlag, Tübingen
Martens, Ekkehard, 2004:
Sokrates, Eine Einführung, Reclam, Stuttgart
Martens, Ekkehard, 1999:
Philosophieren mit Kindern, Reclam, Stuttgart
Mittelstraß, Jürgen, 1984:
Versuch über den sokratischen Dialog, in: Das Gespräch , Karlheinz
Stierle und
Rainer Warning (Hg.)
Nussbaum, Martha 2011: Sokrates
ist unser Vorbild, in: DIE ZEIT 20.1.2011, S. 43
Nietzsche, Friedrich:
Morgenröthe. Gedanken über die moralischen Vorurteile (1881) , in:
Kritische
Studienausgabe 3, dtv / de Gruyter 1988, Neuausgabe 1999
Platon,
2007: Euthyphron, Reclam, Stuttgart
Platon:
die Werke, 2. Tetralogie: Kratylos,Theaitetos, Sophistes, Politikos
[148 d] ff. , nach einer Übersetzung
v. Friedrich E. D.
Schleiermacher in: Platons Werke.Zweiten Teiles erster Band. Dritte
Auflage, Berlin 1856,
Platon, 1994: Sämtliche Werke,
Band1, neu herausgegeben von Ursula Wolf, übersetzt von Friedrich
Schleiermacher (Apologie, 38a / S.38), Rowohlt Taschenbuchverlag
GmbH, Reinbek bei Hamburg
Roth / Staude (Hg.) 2010: Das
OrientierungsLos. Philosophische Praxis unterwegs, Hartung-Gorre,
Konstanz
Roth, Volkbert M. (Hg.) 2012:
Viel Glück. Philosophische Praxis 4, Konstanz
Steenblock, Volker
2012: Philosophie und Lebenswelt, Beiträge zur Didaktik der
Philosophie und Ethik, Siebert, Hannover
Ich freue mich auf unsere
Begegnung in Rede und Gegenrede, in der Wechselrede!
2Platon,
2. Tetralogie: Theaitetos [148 d] ff. (aus: www.opera-platonis.de)
3Birnbacher,
Dieter und Dieter Krohn: Das sokratische Gespräch, (S.144)
4Hare,
Richard M., 1990: Platon (S. 73 f.)
5Platon,
Euthyphron, 2007
6Hare,
Richard M., 1982: Plato, (S.41)
7Martens,
Ekkehard, 2004: Sokrates (S.162 f.)
8Adorno,
Theodor W., 1973: Philosophische Terminologie, Band 1, (S.48), aus:
Martens, 2004
9Nelson,
Leonhard, 1922 veröffentlicht: 1929: Die sokratische Methode,
(S.21-72), aus Birnbacher, Dieter und Dieter Krohn, 2002: Das
sokratische Gespräch
10Birnbacher,
Dieter und Dieter Krohn, 2002: Das sokratische Gespräch, (S.148 f.)
11Platon,
1994: Sämtliche Werke, Band1 (Menon, 80a/ S.470/471)
12Nelson,
Leonhard, 1922 veröffentlicht: 1929: Die sokratische
Methode,(S.46/47), aus Birnbacher, Dieter und Dieter Krohn, 2002:
Das sokratische Gespräch
13Platon:
Apologie des Sokrates (übersetzt v. Otto Apelt), S.44, Leipzig:
nach Nelson, Leonhard, 1922 veröffentlicht: 1929: Die sokratische
Methode, (S.26), in Birnbacher, Dieter und Dieter Krohn, 2002: Das
sokratische Gespräch
16Nietzsche,
Morgenröthe, KSA 3, S.314 f., aus: Martens, Ekkehard, 2004:
Sokrates (S.66)
21Martens,
1999:Philosophieren mit Kindern, (S.191)