Freitag, 31. Oktober 2008

Philosophische Beratung als Orientierung in der Krise

Bernadette Hagenbuch
Philosophische Beratung als Orientierung in der Krise, DasOrientierungsLos 10-14
Referentin: Alexandra Zinke / Protokoll vom 27.10.2008

1.Aufbau von Hagenbuchs Aufsatz
Anhand von vier Fallbeispielen möchte Hagenbuch die Notwendigkeit und den Sinn von Lebenskrisen und die damit verbundene Selbstreflexion und Umorientierung verdeutlichen.

2.Die 4 Fallbeispiele
(i)Tod eines Nahestehenden
(ii)Nicht selbstverschuldete Entlassung
(iii)Sinnkrise einer Mutter nach Auszug der Kinder
(iv)„Midlife Crisis“ nach erfolgreicher Karriere, Alltagsroutine
Kritisiert wird die Wahl der Fälle aufgrund struktureller Unterschiede:
akute Probleme, die nach aktiven, praktischen Veränderungen der Lebenssituation verlangen, wie zum Beispiel finanzielle Unterstützung (ii), versus Probleme, die sich langsam aufbauen und nur über Bewusstmachen der eigenen Situation und der damit verbundenen Neuorientierung zu bewältigen sind.
Situationen, in welche man aufgrund äußerer Veränderungen (i)/(ii) in eine Krise manövriert wird vs. eine Krise, die im Betroffenen selbst ihren Ursprung hat (iii)/(iv), also exogener und endogener Natur  der „Zwang“ zum Philosophieren kommt einmal von außen und einmal von innen
Unterschiedlichkeit der Fragen, die in genannten Krisen hervorgerufen werden: der Sinn von Endlichkeit und Krankheit (i), die Rangordnung von Werten (iv)
Hagenbuchs vermeintliche Absicht bei der Zusammenstellung dieser Beispiele: ein Spektrum von Ursprüngen darzustellen, aus denen heraus eine persönliche Krise wachsen kann, die die Notwendigkeit zum Philosophieren / zur Sinnsuche evoziert.
Es ist anzunehmen, dass sie damit einer großen Anzahl von Lesern des Orientierungslos das Philosophieren als eine Möglichkeit nahelegen will.

3.Hagenbuchs Hauptthese
In einer Krise nehme ich mein Leben bewusster war, ich reflektiere, wodurch ich mich (neu-) orientiere. Das Philosophieren gibt mir die Möglichkeit, mein Leben selbst zu bestimmen, aus einem Leben, in das ich hineingeboren wurde, ein Leben zu machen, für das ich mich entscheide: die Möglichkeiten des Lebens werden zu meinen Möglichkeiten.
Hagenbuch verknüpft ihre Aussage mit denen anderer Existenzphilosophen:
Kierkegaard:
„Man ersieht daraus, dass der Zweifel der Anfang ist zur höchsten Form des Daseins, denn er vermag alles andere zu seiner Voraussetzung zu haben.“ (S.11)
 Hagenbuch hierzu: Der Zweifel entsteht durch die Diskrepanz zwischen Innen- und Außenwelt. Diese Diskrepanz kann, nach Hagenbuch, aufgelöst werden, indem man „diese Gegensätze vereint und so eine ureigene Wirklichkeit schafft“. Hagenbuch schließt: Zweifel gibt Raum und Freiheit zur Neuorientierung
 wenn die Krise zur Neuorientierung zwingt, kann man sie dann positiv bewerten? Ja, der Zweifel ist eher als Motivation, nicht als Zwang zu verstehen bzw. schafft die ernsthafte Möglichkeit des Reflektierens und der Umorientierung
 weitere Kritik: Das Zitat sei eine Wiederholung des bereits zuvor in eigenen Worten Dargestellten; die Worte „daraus“ (woraus?) und „alles andere“ (was genau?) sind nicht hinreichend erläutert. Wie geht es, dass alles andere die Voraussetzung des Zweifels ist?
Obwohl das Zitat vielleicht nicht ganz passend ist, soll das Argument selbst das von Descartes her bekannte sein, das den Zweifel an den Anfang aller weiteren Überlegungen setzt. Es wäre eine Art der Interpretation des Textes, dass Hagenbuch mit dem Kierkegaard-Zitat einfach nur den Gedanken aufgreifen wollte, dass der Zweifel am Anfang stehen soll.
 Kierkegaard passt außerdem gut in diesen Zusammenhang, da er aus eigener Lebenserfahrung/-krise seine Existenzphilosophie begründete; das legt den Umkehrschluss nahe, dass nur durch die Krise Drang zum Philosophieren bestand.
Sartre: „[…]wir sind zur Freiheit verurteilt, in die Freiheit geworfen […]
 Hagenbuch hierzu: der Mensch ist dazu verdammt, frei zu sein. Er muss sich durch seine Handlungen erst selbst bestimmen. Erst durch diese Freiheit bzw. Pflicht hat der Mensch Verantwortung
 Kommentar: Die Verknüpfung von Freiheit und Verantwortung wird auch heute noch diskutiert; z.B.: Kann der Mensch moralische Verantwortung haben, wenn er keinen freien Willen hat?
Camus und Jaspers vertreten ähnliche Standpunkte in der Existenzphilosophie (daher im Seminar nicht weiter darauf eingegangen)
Offene Frage: Sagt Hagenbuch implizit, ohne Krise gäbe es keine Freiheit zur Orientierung oder ist die Krise lediglich eine von vielen Möglichkeiten zur Umorientierung?

((Antwort von Bernadette: danke für das Protokoll, sehr interessant!
Was das Zitat betrifft: meine Ausgabe der "Philosophischen Brocken" enthält das Fragment "De omnibus dubitandum est". Der genaue Titel ist "Johannes Climacus oder De omnibus dubitandum est". Das Zitat stammt aus diesem Zusatz.
Es gibt eine neuere Ausgabe der "Philosophischen Brocken", die diese Schrift auch enthält (Grevenberg Verl., 2003, ISBN 9783936762167).
Zur offenen Frage im Protokoll:
Kierkegaard untersucht in seiner Schrift die Beschaffenheit des Zweifels an sich. Er bezeichnet den Zweifel als den Raum der Zweiheit, das inter-esse, zwischen Bewusstsein und Wirklichkeit. Das Selbstbewusstsein wiederum hält diesen Gegensatz aus, setzt ihn in ein Verhältnis zu sich selbst und schafft sich so eine eigene Wirklichkeit, ohne die Dualität des Zweifels aufzuheben.
In diesem Sinn war es tatsächlich so gemeint, dass die Krise eine von vielen Möglichkeiten ist, in der dieses Auseinanderfallen von Bewusstsein und Wirklichkeit besonders spürbar wird und die Chance besteht, die Wirklichkeit neu zu erschaffen indem dieses Verhältnis neu vermittelt wird.
Ich denke, das Kapitel im Anhang macht diesen Gedanken noch deutlicher.
Liebe Grüsse und weiterhin produktive Spannung bei der Besprechung des Buches
Bernadette ))






4.Organisatorisches
Der Montagskreis im Waldhaus Jakob findet ab heute immer um 19:00 Uhr statt.
Mark wird nächste Woche (03.10.2008) anstelle von Stefan über den Aufsatz Orientierung in der real existierenden philosophischen Praxis von Willi Filinger referieren; Stefan hält dafür das Referat über Unterwegs zum Sinn von Imre Hofmann.

Freitag, 24. Oktober 2008

Philosophieren mit kids

Zur Erinnerung: Sonntag 26.Okt
10.30 ALTIKON
Eva Zoller hält um 10:30 Uhr ein Mini-Café Philo im Käuzli in Altikon ab.
Für eine Mitfahrgelegenheit bitte melden bei: gedankengangonline@googlemail.com

Bernadette Hagenbuch

Thema: Philosophische Einzelberatung in Krisen
- am kommenden Montag
Zur Diskussion gestellt von Alexandra
16 Uhr Uni Konstanz G 305
18 Uhr Waldhaus Jakob

Mittwoch, 22. Oktober 2008



mail to: SinnPraxis@gmail.com zum jeweils aktuellen Stand

Dienstag, 21. Oktober 2008

KURSbeginn

Protokoll zum Seminar: Eine philosophische Praxis?


Montag, den 20.10.2008
16 -18 Uhr
Protokoll von Sandra Mandl

Im Seminar “Eine philosophische Praxis *Philosophical Practitioners*” wird besprochen, was (eine) philosophische Praxis ist. Philosophische Praxis geht über die Philosophie als Theorie hinaus. Seit wann gibt es philosophische Praxis? Welche philosophischen Praktiker aus früheren Zeiten sind uns bekannt?

In Griechenland ist der wohl bekannteste praktizierende Philosoph oder philosophischer Praktiker

- Sokrates
Sokrates selbst verfasste keine Schriften. Er praktizierte Philosophie, indem er mit den Menschensprach. Über die Philosophie des “Stadtstreichers” erfährt man durch Platon, Xenophon und Aristophanes. Platon nutzte Sokrates als philosophisch-literarische Figur für seine Texte.
Gilbert Ryle entwickelte in “Platos Progress” die Theorie, dass Sokrates live aufgeführt wurde. Erst
als die Erinnerung schwand, ließ man seine Philosophie schriftlich fixieren.

- Der Kyniker Diogenes
Diogenes philosophierte nicht mal, indem er Fragen stellte, sondern durch seine Handlungen. Und wenn er selbst gefragt wurde, gab er bedenkenswerte Antworten.
- Platon
Platon war mit seiner (“anspruchsvollsten”) philosophischen Praxis kein Erfolg beschieden. Er wollte einen philosophischen Staat, in dem die Philosophen Könige sind. Seine Sizilienreisen zeugen von seiner Tätigkeit als philosophischer Praktiker.
-Epikur
Epikurs Gäste wurden am Eingang seines Gartens mit der Inschrift:


"Tritt ein, Fremder! Ein freundlicher Gastgeber wartet dir auf mit Brot und mit Wasser im Überfluss, denn hier werden deine Begierden nicht gereizt, sondern gestillt."

begrüßt. Eintritt wurde Sklaven, Frauen und freien Bürgern gewährt. Seine philosophische Praxis konzentrierte sich auf ein gutes Leben, Lebenskunst, Freundschaft und Einklang mit der Natur (-> Garten KEPHOS).

- Pythagoras
Pythagoras betätigte sich praktisch-philosophisch in der Politik und damit, dass er eine Sekte der Pythagoreer und eine pythagoreische Schule gründete. Die Wissenschaften wurden in dieser Schule hochgehalten, vor allem Mathematik und Musik.
Im Römischen Reich gab es zahlreiche praktische Philosophen, die sich als Politiker betätigten. Bis dann das Christentum mit Paulus und der Bibel aufkam. Es stellte eine Konkurrenz zur Philosophie dar. Die Bibel wurde als “Verbalinspiration” angesehen, das heißt als Schrift, die in jedem Wort von Gott inspiriert ist: "Gottes Wort" - siehe auch Beginn des Johannes Evangeliums.

Nebenbemerkung:

Da im Hebräischen keine Vokale geschrieben wurden, schreibt

sich der Name Gottes dort nur mit Konsonanten:


....

(JHWH)


Gelesen wurde dies von ehrfürchtigen Gläubigen als Adonai (der Herr), da
man Gottes Name aus Ehrfurcht nicht aussprechen sollte.

Auch die Erfindung der Sprache wurde Gott zugeschrieben, das heißt für den gläubigen Leser, jedes Wort hat einen von ihr/ihm "vor aller Welt" festgelegten Sinn. Ja sogar alle Kombinationen von Buchstaben!
Schreiben und Lesen wurde sehr wichtig. Der Schriftgelehrte ist der Wahrheit näher als ein Sprechender / Hörender.
In der christlichen Scholastik wurde Philosophie eine Magd der Theologie. Und sie versuchte Fragen zu beantworten, die sich aus den Formeln der christlichen Dogmatik
(z.B. "dreieiniger Gott") ergaben.

“Was ist ein Anfang?" (hebräisch: Bereschit, Griechisch: Genesis - Ursprung / Entstehung)
"Macht ´Anfang der Welt´ Sinn ?”


Gegen Ende der Sitzung wurde noch Organisatorisches geklärt:
Im Seminar werden Texte aus dem Buch “Das OrientierungsLos” (Hg. von Volkbert M. Roth und Detlef Staude, erschienen im Hartung-Gorre Verlag Konstanz) besprochen.


27.10. Bernadette Hagenbuch: Philosophische Beratung als Orientierung in der Krise
Referat: Alexandra
03.11. Willi Fillinger: Orientierung in der real existierenden philosophischen Praxis
Referat: Stefan
10.11. Roland Neyerling: Als Philosoph auf der Walz
Referat: Sandra
17.11. Hans Haessig: Anfänge einer transversalen Orientierung
Referat: Tobias
24.11. Detlef Staude: Das Gastmahl des Euripides
Am 01.12. findet das Seminar an der pädagogischen Hochschule Thurgau mit Eva Zoller statt.


Nach dem Seminar gibt es jeweils ein Nachtreffen im Waldhaus Jakob mit anschließendem Montagskreis. Das soll der Versuch einer realen philosophischen Praxis außerhalb des universitären Rahmens sein.
Internetadressen hierzu:
www.gedankengang-online.de
philopraxis-feigenblaetter.blogspot.com/


Ein aktueller Termin ist der Sonntag, der 26. Oktober. Eva Zoller hält um 10:30 Uhr ein Mini-Café Philo im Käuzli in Altikon ab.
Für eine Mitfahrgelegenheit bitte melden bei: gedankengangonline@googlemail.com

Montag, 20. Oktober 2008

Philosophische Praxis




Kurs "Eine philosophische Praxis?"
MO 16 h in G 305 UNI KONSTANZ

und "Montagskreis"
ab 18 Uhr ist ein Tisch im Waldhaus Jakob reserviert.

W I L L K O M M E N !

Montag, 13. Oktober 2008

Sonntag, 12. Oktober 2008

N A R R E N S C H I F F

Die Basler Buchhandlung (Im Schmiedenhof 10 / 4001) lädt ein zur Vernissage für den 23. OKT (Do) 18.30 ; Roth/Staude (hg. für philopraxis.ch): Das OrientierungsLos. Philosophische Praxis unterwegs, Konstanz 2008. 3 der 11 AutorInnen kommen aus Basel. Auch der Verleger und die Herausgeber werden anwesend sein. Antepasta: VENEZIA in Riehen