Die Bibliotherapie und die tägliche Praxis des Schreibens
sind nichts anderes als die beiden elementaren Techniken der Beherrschung und
Verwaltung des Alter(n)s“ (Volpi Einleitung, Senilia 16)
„Bei welcher Tätigkeit möchtest Du vom Tod überrascht
werden? Suche sie, und wenn du sie gefunden hast, wirst du über die
Richtschnur“ - da stopp ich aber und
merke: nicht Schopenhauer, sondern Seneca schrieb –„wirst du über die
Richtschnur für deine Glückseligkeit verfügen.
– und was ist mit der Ausgangsdiagnose, das menschliche Leben sei eine
missliche Sache? Nun, sie nimmt die Form des Sinnspruchs an, wonach „das Leben
eine Sache sei, die es besser ist hinter sich als vor sich zu haben“. Und Volpi
kommentiert und beschließt damit seine Einleitung zu den Senilia prosaisch: „Die Schlussfolgerung unseres zähen
Pessimisten – letztlich ein gut unterrichteter Optimist – ist ziemlich einfach:
<>“ Enttäuscht?
Ist das ein schlüssiger Schluss?
Aus dem Publikum eine Wortmeldung: „Wie denkt Schopenhauer
über die Selbsttötung?“
Dazu findet sich auf der Seite 82 des Manuskripts (148 des
gedruckten Textes): „Der so weltberühmte Monolog des Hamlet besagt im Grunde dies: Unser Zustand ist ein
so elender, dass gänzliches Nichtseyn ihm entschieden vorzuziehn wäre. Wenn nun
der Selbstmord uns dies wirklich darböte, so dass die Alternative tob e or not
tob e im vollen Sinn des Wortes vorläge … Allein in uns ist etwas, das uns
sagt, dem ist nicht so<, es sei damit nicht aus, der Tod sei keine absolute
Vernichtung.“ Und ich denke, für Schopenhauers Lösung, Verneinung des Willens,
ist die paradoxe Bedingung: das geht nur bei lebendigem Leibe, klarem Kopf und
wachem Mitgefühl. Vgl. auch seine Argumente in der zu seiner Zeit unpopulären Ablehnung
der noch verbreiteten Praxis des Duells.
Und noch eine Fundstelle [Seite 64.6]: „Die Einheit in
letzter Instanz zwischen dem Grundwesen unsers eigenen Ich und dem der
Außenwelt erläutert nichts so unmittelbar wie der Traum: denn auch in diesem
stehn Andere als völlig von uns verschieden da, in vollkommener Objektivität
und mit einer uns von Grund aus fremden, oft rätselhaften Beschaffenheit, die
uns oft in Erstaunen versetzt, uns überrascht, uns ängstigt u.s.w. - und doch sind wir dies Alles selbst. Eben so
nun ist der Wille, welcher die ganze Außenwelt trägt und belebt, eben der in
uns selbst, wo allein wir ihn unmittelbar (erleben)“
ERHEBT DAS GRAUE schmälere Bändchen „Aphorismen zur
Lebensweisheit“ und liest aus der
Einleitung KEIN SCHNELLER WEG ZUM GLÜCK von Georg Schwikart, der die lesbarer
gemachte Neuausgabe 2009 betreute. Diese zuerst 1851 als Teil I der Parerga und Paralipomena
aufgelegten Texte richten sich an ein breiteres Publikum und in ihnen wurde
bald ausgiebig geschmökert (so auch von einem Lesezirkel um Wittgensteins große
Schwester Gretel, die den Bruder Ludwig anhielt, Schopenhauer zu studieren).
Bis in die Zeit Freuds war Schopenhauer
der meistgelesene deutschsprachige Philosoph. Sein Einfluss auf Nietzsche ist beträchtlich. „Nietzsche
learned much from Schopenhauer and at first wrote admiringly about him. Later…
he turned vehemently against him… Nietzsche and Schopenhauer had many
similarities: they were fearless and unrelenting in their investigations of the
human condition, … and abandoned all illusions about existence. Yet they
arrived at diametrically different attitudes toward life: Nietzsche embraced
and celebrated it; Schopenhauer was grim, pessimistic, life-negating …” so
schreibt Yalom, der über jeden der beiden Philosophen “teaching novels”
verfasst hat. Die zitierte Passage (und auch die folgende) ist entnommen der
Amerikanischen Orginalausgabe von The Schopenhauer Cure, NY 2005, paper back 2006, P.S. Writing The Schopenhauer Cure
11f „The more I studied Schopenhauer´s life and work, the more impressed I was
by the extraordinary range and depth of his vision. It was not difficult to
understand why some philosophers posit that Schopenhauer´s work contains more
interesting ideas than the work of any other philosopher, save Plato.”
Aber was ist der Kerngedanke? Den umreißt Rüdiger Safranski
in seiner Denkerbiographie zu Schopenhauer 299f so: „Ende 1814 oder Anfang 1815
notiert Schopenhauer in seinem (ersten) Manuskriptbuch jene Sätze, aus denen
alles Weitere folgt: >>Die Welt als Ding an sich ist ein großer Wille,
der nicht weiß, was er will; denn er weiß nicht, sondern will bloß, eben weil
er ein Wille ist und nichts Anderes<<“ Safranski interpretiert nun wie
folgt: „Der mit dem >>Ding an sich<< identifizierte Objekt< erkannte Wille sein;
nicht jener >Wille<, den er noch in seiner Dissertation (in) eine der 4
Klassen der Vorstellungsobjekte (eingeordnet) hatte.“
Dort hieß es: „Die Kategorie der Kausalität ist also der
eigentliche Übergangspunkt, folglich Bedingung aller Erfahrung … durch die
Kategorie der Kausalität allererst erkennen wir die Objekte als wirklich, d.i.
auf uns wirkend. … Wenn wir sehen, gibt es unmittelbar nur die Empfindungsdaten
der Netzhauterregung, nichts anderes. Wir sehen, spüren, hören die Körper im
Raum, weil wir die Empfindungsdaten am eigenen Leibe als Wirkung deuten und
dafür instinktiv eine Ursache suchen, die wir in den Raum projizieren.
…Eigenkörperliche Zustände müssen als Wirkung begriffen werden, damit es für
uns eine Wirklichkeit gibt.“ 235f – dies ist Schopenhauers Darlegung, wie Menschen etwas wirklich wird; ein Aspekt der
TITELFRAGE dieses Philosophie Festivals.
Und nun wird es spannend! - „Wie konnte … Schopenhauer das
Kantsche Dogma von der Unerkennbarkeit des >>Dings an sich<<
aufrechterhalten und doch davon sprechen, er habe das Rätsel des >>Dings
an sich<< gelöst?“ 300 „Es ist eben nicht der vorgestellte, diskursiv
erkannte Wille, den er mit dem >>Ding an sich<< identifiziert,
sondern der in der >>inneren Erfahrung<< , am eigenen Leibe gespürte Wille.“
„Die ganze Welt außer mir ist mir nur als Vorstellung
gegeben. Es gibt, so Schopenhauer, nur einen einzigen Punkt, wo ich zur Welt
noch einen anderen Zugang habe als den der Vorstellung. Und dieser Punkt liegt
bei mir selbst.“ Siehe oben die
Überlegung zu der Bedeutung der eigenkörperlichen Zustände und die Konstitution
der Wirklichkeit für mich durch Projizieren einer Ursache „in Raum (und Zeit)“
als wirkend auf mich. Nun eine daran erinnernde, doch sich unterscheidende
Argumentation: „Wenn ich meinen Leib sehe, seine Aktionen beobachte und
erkläre, so ist dies Wahrgenommene und Erkannte immer noch Vorstellung, aber
hier am eigenen Leib spüre ich doch zugleich auch jene Antriebe, jenes
Begehren, jenen Schmerz, jene Lust, was alles sich auch gleichzeitig in
Aktionen des Leibes meinen Vorstellungen (und den Vorstellungen Anderer)
präsentiert. Nur in mir selbst bin ich zugleich das, was sich … in der
Vorstellung zeigt … Nur in mir selbst gibt es diese doppelte Welt, ihre Vorder-
und Rückseite. Nur in mir selbst erlebe ich, was die Welt noch ist (Wille),
außer dass sie …Vorstellung … ist. Die
Welt >draußen< hat … nur ein vorgestelltes >Drinnen<, nur in mir
selbst bin ich selbst dieses >Drinnen< … Innenseite der Welt.“ Aus der
Unerkennbarkeit des >Ding an sich< bei Kant ist bei Schopenhauer die
leibliche Gewissheit geworden, dass mein Leib will. Wille bleibt als ANsich des
Menschen übrig. Schopenhauer setzt auf die unmittelbare Erkenntnis: „Identität
meines Leibes (und seiner Aktionen) mit meinem Willen (ist) eine unmittelbare
Erkenntnis“ (1814 ins Manuskriptbuch HN I geschrieben) 308
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