Montag, 20. Juni 2011

PHILOCAFÉ Affektophon TEXT

BERN 4.6.2011 Wollen Sie ein Affektophon ?

Der an der ETH in Züri lehrende gründlich deutsche Philosoph Michael HAMPE hat u.a. dem Vorbild Peter Bieris (aber auch Platons utopischer Schriftstellerkunst) folgend 2009 einen durchaus ernstzunehmenden philosophischen Schelmenroman vorgelegt, der zur Zeit ein überwiegend positives Echo findet. Durchaus vergleichbar mit GOODSELLERN von Wilhelm Schmid (Glück 2007), Sloterdijk (Du musst dein Leben ändern 2009), Safranski (Romantik).
Eine Teilnehmerin des PhiloCafés vom 12.2. hier in Bern sagte, sie könne solche Texte nicht mehr lesen (wg. ihrer Augen) - und es wird weitere Gründe geben, warum frau und man sich aktuelle Entwicklungen in der Philosophie in einem gestrafften Einleitungsvortrag im caféphilo hier im Turmzimmer Schloss Bümpliz anhören , um anschliessend ins gemeinsame Philosophieren zu kommen.

Wir alle kennen am Leib getragene Telephone. Sie haben sich erst vor einigen Jahren bei uns fast allgemein verbreitet. Der bisherige Platz der Armbanduhr ist dadurch frei geworden. Hier könnte künfzig ein neuer kleiner Apparat befestigt sein. Er dient nicht dem Kontakt mit entfernteren Gesprächsteilnehmern, sondern mit dem eigenen "Inneren", mit unseren sich durch Hirnaktivitaet aufbauenden Gefühlen und das Affektophon am Handgelnk soll biofeedback ermöglichen., sozusagen durch einen Anruf "bei uns selbst".

Break (gesungen)
"die Maedchen in de-er Welt
sind falscher als da-as Geld"

Was sagt uns diese "canzone"? Das Lied "Ade zur guten Nacht" ...

verweist auf die belebte Natur unseres Heimatklimas:
"im Sommer, da blüht der Klee,
im Winter da schneit´s den Schnee"

(biblisch: alles zu seiner Zeit)

auffällig der starke Kontrast, typisch für ein Klima mit unterschiedlichen Jahreszeiten. Der Sänger spricht aber "durch die Blume" (durch den blühenden Klee und den sich reimenden kalten Schnee) von Gefühlen. Diese können zum Glück (Sommer, blühender Klee) gehören oder zum Unglück.
Sind nun Glück und Unglück wie Sommer und Winter? "Ertrage, was du nicht ändern kannst?"

Doch nun zu HAMPEs Text, der seinem wohl noch sehr kleinen Sohn HUGO gewidmet ist und den er einen „Kanon“ (=vielstimmigen Gesang) nennt.
Das 1. Kap. beginnt ein Ich-Erzaehler. Bei ihm gibt es Anklänge und reizvolle Unterschiede zu Autor Hampe. Der Erzähler berichtet von einer neugegründeten (und aus Geldmangel der öffentlichen Hand inzwischen geschlossenen) Akademie bei Hannover. Sie hatte einen Wettbewerb ausgeschrieben zur Preisfrage:
KANN DAS MENSCHLICHE LEBEN VERVOLLKOMMNET WERDEN UND WENN JA, AUF WELCHEM WEG KOENNEN DIE MENSCHEN DAS GLUECK FINDEN?

Von "mehreren Postsäcken" eingesandter Texte bilden 4 den Mittelteil des Buchs. Die fiktive Auswahl dauerte ein ganzes Jahr: "ich hatte meinen Glauben an den Sinn von philosophischen Büchern und vor allem an den Sinn dieser Preisfrage eigentlich schon verloren, bevor ich mich mit den eingegangenen Schriften befasste" – heisst es einleitend. "Ich hatte lediglich die Texte ausgewählt, die mir am besten gefielen," schrieb HAMPEs Erzähler, "doch merkwürdigerweise ergänzen sie sich gegenseitig" - was an die Ringparabel denken laesst: "zu der Zeit, als ich die jetzt abgedruckten (Texte) ... las, war ich während der Tage der Lektüre und auch noch kurz danach davon überzeugt, dass der jeweilige Autor recht hatte".

Affektephone werden behandelt im ersten Text ( zugeschrieben Erwin Weinberger, Physiker und Wissenschaftsphilosoph ).

Wie kommt die Rede auf "Gefühle" / Affekte ?
Satz 1: Unser Weg zum Glück liegt in der Vermeidung des Unglücks.
Satz 2: Das beste Mittel, das wir zur Vermeidung von Unglück haben, sind Wissenschaft und Technik.
Satz 3: Es sind Fakten in unserem Bewusstsein und Gefuehlsleben / Affektleben, die für das Glück entscheidend sind.
Nachsatz: Am Ende,wenn die Wirklichkeit und wir selbst für uns transparent sind, wird es uns wie Schuppen von den Augen fallen. Die Welt ist verständlich. Und das wird Konsequenzen haben für Vermeidung von Unglück im menschlichen Leben.
Affektophone sind ein Werkzeug dazu.

Machen wir einen grossen Schritt zurück! Plato lässt den nachdenklichen Sokrates 3 Teile im Wesenskern von uns Menschen, in unserem SELBST, in der SEELE unterscheiden:

1. Begierde / Strebung / Affekt (wie andere Lebewesen auch)
2. Vernunft des zur Rede begabten Wesens Menschenbild
- und dann ein Drittes, das den Auschlag geben soll
(solange 1 und 2 nicht übereinstimmen)

Das Bemühen des Sokrates ist: sie zur Harmonie zu führen und das nennt er eine philosophische Selbstsorge und zugleich Selbstbeherrschung. Alles Weitere komme dann später.

Und wieder ein grosser zeitlicher Sprung wieder zurück zu gegenwärtigem Philosophieren! Wilhelm Schmid hat ja 2010 DIE LIEBE NEU ERFINDEN auf den Büchermarkt gebracht. Untertitel: Von der Lebenskunst im Umgang mit Anderen

Ausgerechnet auf S. 13 lesen wir:
Auf dem „Weg zur Weisheit“ komme es darauf an, „für ein überlegtes Verhalten (Handeln) … nach Gründen zu suchen und sie abzuwägen. Bei diesem argumentativen Vorgehen kann die Philosophie behilflich sein … Der jeweilige Mensch trifft selbst seine Wahl, sinnvollerweise jedoch mit Gründen, die sie und er im Denken und Fühlen ausreichend abgewogen hat … Die Gründe kann sie und er allein abwägen (oder mit Anderen) … Als gute Gründe kommen dabei nicht nur Überlegungen, sondern auch GEFÜHLE in Betracht“ (S.13, Schmid LIEBE)

p. 18 freier raum des Künftigen: die Gefühle schon mal vorausschicken und die Gedanken dorthin zu bewegen

p. 52 nicht mehr nur für die eigenen Gefühle

Und es gibt da auch einen ganzen Abschnitt, überschrieben:
UND WENN ES ÄRGER GIBT?
DIE ALLTÄGLICHE POLARITÄT VON GEFÜHLEN
141 – 152

Bei Schmid ist „Leben in Polaritäten“ (99) ein grundlegender Zug seiner Darstellung und „Freud und Leid“, Wohlfühlglücksgefühl und ärgerliche Wut „Teil der Polarität, die sich im gesamten Leben als unvermeidlich erweist“.

Hampes AFFEKTOPHON soll zum Glück tendierendes Gefühl erkennbar machen, damit wir es willentlich verstärken. Dem Glück widriges Gefühl sollte die Alarmglocke auslösen.
Getreu der (bescheidenen?) These, dass Glück durch Minderung der Häufigkeit und der Stärke „negativer“ Hirnzustände anzustreben ist, steht die Selbsthemmung im Vordergrund.
Ich verlas dann - mit Unterbrechungen - S. 103 bis 105

und dann wurde munter philosophiert!

Dienstag, 24. Mai 2011

PHILOCAFÉ Affektophon

Samstag den 4. Juni 2011 14°° - 16°° Schloss Bümpliz BE
BRAUCHEN SIE EIN AFFEKTEFON ?
Träume der Vernunft zur Minderung des Leidens

Wir alle kennen am Leib getragene Telephone. Sie haben sich erst vor einigen Jahren bei uns fast allgemein verbreitet. Der bisherige Platz der Armbanduhr ist dadurch frei geworden. Hier könnte kuenfzig ein neuer kleiner Apparat befestigt sein. Er dient nicht dem Kontakt mit entfernteren Gespraechsteilnehmern, sondern mit dem eigenen "Inneren", mit unseren sich durch Hirnaktivität aufbauenden Gefuehlen und das Affektophon am Handgelenk soll biofeedback ermöglichen., sozusagen durch einen Anruf "bei uns selbst". Wir streben nach einem gluecklichen, "guten" Leben.
Das Affektephon soll helfen, selbstbewirktes Unglück abzuwenden. Text: Michael Hampe (2009),
Das vollkommene Leben. - die erste Meditation über Tod und Glück, S. 43 ff (104 Affektoskop)

vorausgegangen
„Glück?“ – „Arbeit!“ - Wie werde ich glücklich?
Samstag den 4. Dezember 2010 14°° - 16°°
Die zu diskutierenden Themen sind altehrwürdig & stets aktuell. Wer möchte nicht glücklich sein? Von was hängt Glück ab? Gibt es dauerhaftes Glück? Wilhelm Schmid will in seinem beliebten Büchlein „Glück“ uns zeigen, „...warum es nicht das Wichtigste ist“ - Wie ist denn das zu verstehen? Ist Arbeit wichtiger als Glück? Macht Arbeit glücklich?
Im Büchlein „Die Liebe neu erfinden. Von der Lebenskunst im Umgang mit Anderen“ stellt Wilhelm Schmid Überlegungen zur Arbeit an, die zur Klärung herangezogen werden.
Einführung und Moderation: PD Dr. Volkbert M. Roth (Uni Konstanz)

Montag, 18. April 2011

Sara Telatar: Philosophisch Traun (nach Bernasconi)

Paarberatung & philosophische Trauungen
Martina Bernasconi, in: Methoden Philosophischer Praxis 2010 / Referentin: Sara Telatar
These: Beziehungen sind die wichtigsten Lebensfragen
1. Philosophische Trauungen
a) Wer lässt sich trauen?
Leute ohne kirchlich religiösem Hintergrund
Paare bei denen Liebe zum Partner im Zentrum steht
b) Ablauf
Anfrage
Kennenlerngespräch
Fragen zur Beziehung
Vorgespräch zentral zur Erkundung der Dynamik in der Beziehung
Jede Trauung ist einzigartig
c) Der Begriff der Entscheidung
Wahl zwischen Alternativen oder mehreren unterschiedlichen Varianten
Spontan, emotional, zufällig, rational
Entscheidung für die Ehe => rational
6 Schritte der Entscheidung
Feststellen eines Entscheidungsbedarfs = >Veränderung des Ist-Zustands
Analyse des Entscheidungsumfeldes = >Untersuchung der aktuellen Situation
Entscheidungsalternativen
Konsequenzen der einzelnen Alternativen
Entscheidung und Umsetzung einer Alternative
Beobachtung des weiteren Verlaufs, Revision oder gegebenenfalls Prüfung der Entscheidung => eventuelle Zweifel
Ambivalenzbegriff
2. Philosophische Trauung plus
Vorgespräch
Vertrauen der Paare
Paare setzen sich bewusst mit ihrer Beziehung auseinander
Ausdruck der wichtigen Dinge
Fruchtbare Themen für Beziehung werden angesprochen
3. Zusammenfassung
Unterschiedlichkeit der Paare
Fließende Grenze zwischen Paarberatung und Vorbereitungsgespräch
5 Schritte der philosophischen Trauung
Vorgespräch
2-4 intensive Gespräche
Biografie, Ablauf der Hochzeit
Erster Entwurf der Rede, welche vom Paar überarbeitet wird
Trauungsritual
4. Philosophische Paarberatung
Neben Einzelberatung immer mehr Partnerberatung
Ferdinand Fellmann => formuliert Mangel an theoretischer Reflexion zur Paarbeziehung
Georg Simmel= >Spannung zwischen Individuum und Paar=> „Wunder der Liebe“
Konflikt und Einheit
Ziel der Paarbeziehung => Harmonie der Individuen in einem Paar
5. Paarberatung
Themenkreise Regina Mahlmann
Nebeneinander statt Miteinander
Neue Verständigungsbasis und veränderter Umgang miteinander
6-Stufen-Modell Anette Prins-Bakker als Orientierung
Stufe 1 : Erzählen=> Einzelreflexion aus gelöstem Blickwinkel
Stufe 2 : Wer bist du? => Individuen unabhängig voneinander
Stufe 3 : Verlauf des Lebens => Werte
Stufe 4 : Lebensphase => eventuell Indiv. In zwei verschiedenen Lebensphasen
Stufe 5: Hinterfragen der eigenen Beziehungsstruktur => Austausch
Stufe 6 : Soll Beziehung weitergeführt werden? => gemeinsame Bilanz
Einzelgespräche und Sitzungen zu zweit => Paarberatung als >Hybride<
6. Philosophische Trauung => präventive Eheberatung
Beispiel: „Geliebt-werden-Momente“
Einblicke in Beziehungsdynamik => optimale Basis
Neue Perspektiven und Aussichten sollten schon vor Eintreten von Problemen diskutiert werden
7. These
Beziehungen Teil des menschlichen Daseins
Beziehungen auf allen emotionalen Ebenen
die meisten Fragen (ent)stehen in Zusammenhang mit anderen Menschen

LITERATUR
Martina Bernasconi, in: Methoden Philosophischer Praxis 2010
Ferdinand Fellmann,
Regina Mahlmann,
Anette Prins-Bakker,
Detlef Staude (Hg.), Methoden Philosophischer Praxis, Bielefeld 2010

Philosophische Reise in die Gegenwart

"Eine Reise in die Gegenwart"

ist der Untertitel von Florian W. Hubers Roman "Die Hochzeit des Chronos" (ISBN 978-3-8391-5062-7). Ein mittelmeerisches Land mit dem hintergründigen Namen Paroúsien (im philosophischen Griechisch:
παρουσία - Gegenwart)
ist die Heimat eines jungen Mannes, der ein naturnahes Leben unter freiem Himmel mit einer Ziegenherde führt. Es kommt ein reitender Bote aus der Stadt Parousía vom alten König Chronos (Zeit) . . .
Ein verlockender geheimer Auftrag verändert das Leben des Jünglings. Danach verlässt er sein Land und lernt die durch technische Erfindungen des Hephaistos (Gott der Schmiedekunst, der Vulkan Ätna ist seine unterirdische Werkstatt) veränderte Neue Welt kennen.

7 Jahre arbeitet er in der Fremde. Dann kehrt er zurück in seine Stadt am Meer. Er trifft den Menschen, weswegen er weggegangen war und wiedergekommen ist. Ein Kreis schließt sich. „Gleichzeitigkeit ist jetzt“ , gemeinsame Gegenwart. Und JETZT ist kein (ausdehnungsloser) Punkt. JETZT ist die Fläche der Gegenwart.
Das fiktive und überzeitliche Land altgriechischer Gegenwart fasziniert noch immer.

Sonntag, 17. April 2011

Moritz Scherzer: Führungscoaching (nach Fintz)

Vorbemerkungen
Im Mittelpunkt steht der Essay „Begleitung von Führungspersonen. Führungscoaching als Philosophische Praxis“ von Anette S. Fintz,in: METHODEN PHILOSOPHISCHER PRAXIS - wobei ich von Fintz’ Gliederung abgewichen bin. An Stellen, wo mir Fintz’ Ausführungen zu knapp erschienen, habe ich sie in meinen eigenen Worten und nach meinem Verständnis näher erläutert. Ziel ist, eine Vorstellung davon zu vermitteln, was Führungscoaching als Philosophische Praxis ausmacht.
Was hat (Unternehmens-)Führung mit Philosophie zu tun?
Beratung und Coaching sind in der heutigen Zeit sehr gefragte Dienstleistungen. Sie werden v. a. von hochrangigen Politikern, Spitzensportlern und Managern in Anspruch genommen, die sich davon eine Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit erhoffen. Die Beratung von Führungspersonen durch Philosophen hat eine lange Tradition. Eines der berühmtesten Beispiele ist Aristoteles, der bereits im 4. Jh. v. Chr. als Lehrer und Berater des makedonischen Prinzen Alexander (später: A. der Große) fungierte. Die Frage, was ausgerechnet einen Philosophen dazu befähigen sollte, eine solche Rolle auszuüben, zieht sich wie ein roter Faden durch die einzelnen Kapitel des Essays von Fintz. Zunächst einmal soll ein Zusammenhang zwischen (Unternehmens-)Führung und Philosophie hergestellt werden.

Die Schwierigkeit des Führens
Das Handeln einer Führungsperson aus Wirtschaft oder Politik ist nie vollkommen unabhängig und immer bestimmten Einflüssen ausgesetzt. Dies können Entwicklungen und Ereignisse von globaler Bedeutung sein, z. B. die Terroranschläge vom 11. September 2001 oder die Finanzkrise 2008/2009, aber auch persönliche Härtefälle wie Beziehungsprobleme, Krankheiten oder unternehmensinterne Konflikte. Dadurch entsteht die Notwendigkeit, entschlossen zu handeln und insbesondere ein Gespür für den kairós zu entwickeln, also im richtigen Moment das Richtige zu tun. Dies gilt als eine der schwierigsten Aufgaben, die eine Führungsperson zu bewältigen hat.

Coaching
Um damit besser umgehen zu können und den steigenden Erwartungen gerecht zu werden, unterziehen sich viele Führungspersonen einem sog. Coaching. „Coaching ist die professionelle Beratung, Begleitung und Unterstützung von Personen mit Führungs-/Steuerungsfunktionen und von Experten in Unternehmen/Organisationen. Zielsetzung von Coaching ist die Weiterentwicklung von individuellen oder kollektiven Lern- und Leistungsprozessen bzgl. primär beruflicher Anliegen.“1 ( http://www.dbvc.de/cms/index.php?id=361 (5. April 2011).)
Noch in den 1990er-Jahren war Coaching als individuelle Beratung kaum verbreitet. Inzwischen herrscht ein regelrechter Coaching-Boom. Diese Entwicklung hat sich auch in der Literatur niedergeschlagen. Die Masse an Büchern zum Thema „Coaching“ erschwert jedoch die Orientierung, zumal es viele schlechte Bücher gibt. Das Defizit der meisten von ihnen ist, dass sie sehr schnelllebig sind. Die Komplexität und Schwierigkeit des Führens wird darin meist verkannt, es wird häufig als etwas Kinderleichtes dargestellt, das durch ein paar simple Kniffe einfach zu erlernen sei.

Welche philosophischen Kernkompetenzen spielen im Beratungs-/Coachingprozess eine wichtige Rolle?
Arbeitet ein Philosoph als Coach, ist es v. a. das für die Philosophie typische Denken und Staunen, das ihm im Beratungsprozess hilft.
Durch Denken wird einerseits Klarheit erzeugt, wo vorher Unklarheit herrschte. Aber auch das Gegenteil kann der Fall sein. Bislang klare Sachverhalte werden plötzlich unklar, d. h. durch kritisches Hinterfragen werden Überzeugungen fallen gelassen, so dass zunächst einmal ein Vakuum entsteht und der Denkprozess neu beginnen muss. Philosophisches Denken folgt darüber hinaus den Gesetzen der Logik, wodurch dem Klienten Widersprüche in seiner Denkweise aufgezeigt werden können, ohne ihm deshalb konkrete Ratschläge erteilen zu müssen, wie er es besser machen könnte. Auch hier besteht nämlich das primäre Ziel darin, den Klienten zum eigenen Nachdenken anzuregen. Wer philosophisch denkt, wird auch die Grenzen des Wissens eher anerkennen als ein Nicht-Philosoph. Dies beginnt schon damit, dass sie sich darüber Gedanken machen wird, was überhaupt als Wissen gelten kann und was nicht. Zudem ermöglicht das philosophische Denken das Üben von Kritik im eigentlichen Sinne. Durch Reflexion über ein bestimmtes Thema können die dazugehörigen Aspekte geprüft und evaluiert werden, so dass der Philosoph eine bestimmte Haltung dazu entwickelt und als Meinung vertreten kann. Dadurch kann sie deutlich machen, dass man dies oder jenes nicht verantworten kann/will, weil es nicht den Maßstäben von richtig/gut genügt. Schließlich ist die Autorität des vernünftigen Arguments ein Grundsatz, der im Coachingprozess herangezogen werden kann.
Neben dem Denken ist es das Staunen, das der Coach bei der Arbeit weiterhelfen kann. Staunen entspringt der Position des Nicht-Wissens. Dies bedeutet, dass sich d. Coach zunächst einmal mit Kommentaren, Ratschlägen und sonstigen Äußerungen zurückhält, nachdem d. Klient etwas erzählt hat. Selbst wenn sie glaubt zu wissen, was d. Klienten Problem ist, z. B. durch entsprechende Erfahrungen mit anderen Klienten, sollte sie sich in eine Position des Nicht-Wissens begeben und Schritt für Schritt aus den gewonnenen Erkenntnissen neues Wissen generieren. Allerdings ist eine solche Haltung äußerst schwierig durchzuhalten, denn sie setzt sehr viel Reife seitens d. Coachs voraus, aber auch Selbstbeherrschung und – so paradox es klingen mag – Wissen. Die Versuchung d. Coachs wird stets groß sein, auf Basis eines Erfahrungsschatzes den Klienten möglichst rasch zu unterbrechen und gut gemeinte Ratschläge zu geben.

Worin unterscheidet sich ein philosophischer von einem nicht-philosophischen Berater?
In der Führungsberatung sind neben Philosophen auch bspw. Soziologen, Betriebswirte und Psychologen tätig. Was genau unterscheidet nun den philosophischen Berater von Kollegen aus anderen Disziplinen?
Im Gegensatz zu Beratern, die eine Ausbildung oder ein Studium in anderen Bereichen absolviert haben, stehen PhilosophInnen kaum fachspezifische Theorien zur Verfügung, die sie sich für den Beratungs-/Coachingprozess nutzbar machen könnten. Es geht nicht darum, dem Klienten zu erklären, warum dieser in der Vergangenheit so und so gehandelt hat. Der philosophische Berater versucht dem Klienten die Logik und den Sinn aufzuzeigen, die dessen Denken und Handeln zugrunde liegt. Auf die Erklärung von Kausalzusammenhängen und jedwede Deutungsversuche wird jedoch verzichtet. Die KlientIn selbst soll auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse zum Nachdenken angeregt werden, so dass das Verhalten aus eigenem Antrieb heraus verändert wird. Für Beratende ist es hierbei jedoch unerlässlich, über das eigene Selbst- und Arbeitsverständnis im Klaren zu sein. Offenheit mündet andernfalls in Orientierungslosigkeit und Beliebigkeit.

Was bedeutet nun Führungsberatung in Philosophischer Praxis?
„Ein Philosoph [...] begleitet eine Führungsperson durch die von ihr vorgegebenen Themen; dabei schöpft der Philosoph aus dem Schatz der großen Denker, der Differenzierungsfähigkeit und seiner Fähigkeit, Verstehen von Erklären zu unterscheiden, sowie das Reflektieren der verwendeten Sprache. Ziel der Arbeit ist nicht, Menschen ‚moralischer‘ oder ‚gerechter‘ zu machen, vielmehr den Mandanten darin zu unterstützen, seine Persönlichkeit auf eine Weise weiter zu entwickeln, die es ihm erlaubt, selbstverantwortlich, klar durchdacht und im Bewusstsein der eigenen Begrenzung zu führen, anzuleiten und zu kommunizieren.“2
(Fintz, A. S.: 2010, S. 153)

Was kann Philosophische Praxis bei der Führungsberatung leisten, was nicht?
Philosophische Praxis bei der Führungsberatung bedeutet, dass Berater und Klient gemeinsam am individuellen Prozess des Klienten arbeiten, stets im Kontext der Herausforderungen seines Lebens. Der Klient soll sukzessive zu selbstreflektiertem Handeln befähigt werden und sich sowohl seiner persönlichen Freiheit, als auch der Verantwortung bewusst werden, die er für sich und sein Leben trägt. Langfristiges Ziel ist die Entstehung eines bewussten éthos, aus dem heraus gedacht, entschieden und gehandelt wird und sich den Widersprüchlichkeiten der wahrgenommenen Welt stellt.3 ( vgl. Fintz, A. S.: 2010, S. 154)
Patentrezepte und standardisierte Lösungen für die Führungsberatung gibt es jedoch nicht.


Grundlegende Voraussetzungen für den Erfolg und mögliche Hindernisse
Damit Philosophische Praxis bei der Führungsberatung erfolgreich sein kann, müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein. So muss auf Seiten der Klienten die Bereitschaft zum Nachdenken und Hinterfragen unbedingt vorhanden sein. Nur so sind sie für diese Art von Beratung überhaupt zugänglich. Den Beratenden wiederum muss es gelingen, (potenzielle) Klienten vom Nutzen der Führungsberatung zu überzeugen, was jedoch nicht leicht ist, da der Nutzen einer solchen Beratung nicht quantifizierbar ist.
Zu den Problemen, mit denen philosophische Führungsberater immer wieder zu kämpfen haben, zählen einmal das meist geringe philosophische (Vor-)Wissen der Klienten, sowie das oft nur schwache Interesse an der Philosophie. Auch „Halbwissen“ in einzelnen Themenbereichen, wie z. B. der Forschung zur Willensfreiheit, können die Arbeit des Philosophischen Praktikers stark behindern, da die Klienten dadurch nicht mehr offen genug sind, sich auf die Beratung einzulassen. Ferner schwindet bei vielen die Lust am Philosophieren, wenn die Unterhaltungen abstrakter und theoretischer und damit komplizierter werden.


Ansatzpunkte Philosophischer Praxis bei der Führungsberatung
Wo nun kann Philosophische Praxis bei der Führungsberatung ansetzen? Fintz nennt insgesamt vier solcher Bereiche, die nachfolgend kurz beschrieben werden.

Sprache
Klienten sollten ihr Anliegen möglichst in der Sprache vortragen, die sonst / im Alltag benutzt wird. Ein zu sprachlicher Extravaganz neigender Jargon wird die Darstellung bzw. die Inhalte, um die es geht, verzerren. Doch obwohl es wünschenswert ist, dass eine KlientIn so spricht, wie sie es gewohnt ist, sollten Philosophische Praktiker darauf aufmerksam machen, dass es sehr wichtig ist, dass man sich präzise und eindeutig ausdrückt, um Missverständnissen vorzubeugen. Diese philosophische Tugend eignet sich gut zur Klärung wichtiger Begriffe. Wenn z. B. in einen Beratungs- bzw. Coachingprozess zum Thema „Moral“ mehrere Mitarbeiter eines Unternehmens involviert sind, kann durch eine Frage wie „Was ist eigentlich Moral?“ eine Diskussion in Gang gesetzt werden, die es ermöglicht, die jeweiligen Vorstellungen von Moral explizit werden zu lassen. Die MitarbeiterInnen lernen sich dadurch in ihrem Kommunikationsverhalten besser kennen, selbst wenn sie schon länger zusammen arbeiten. Außerdem lernen sie das Erklären und Präzisieren von Begriffen und es wird ihnen bewusst, wie gefährlich es sein kann, Begriffe zu verwenden, deren Bedeutung nicht hinreichend klar ist bzw. über deren Bedeutung unterschiedliche, u. U. einander widersprechende Auffassungen herrschen.

Anthropologie
Da es bei einer Beratung immer um Menschen geht, müssen sich Beratende über das eigene Menschenbild im Klaren sein. Dieses muss er auch dem Klienten offengelegt werden. Gemeinsam kann dann ein anthropologisches Konzept erarbeitet werden, das einerseits die persönliche Freiheit des Einzelnen betont, andererseits die Zuschreibung von moralischer Verantwortung für das eigene Handeln deutlich macht.

Dialektik
Dialektik, das kritische Abwägen von Für und Wider einer Sache, kann Klienten bei der Entwicklung des Führungsprofils unterstützen. Man soll lernen, dass es kaum Entscheidungen gibt, die eindeutig, also einfach sind. In aller Regel wird es so sein, dass es keine richtige Entscheidung gibt, sondern nur eine Entscheidung, die nach bestem Wissen und Gewissen getroffen wurde, nachdem eine kritische, differenzierte Evaluation aller Möglichkeiten, die zwischen zwei Extremen liegen, stattgefunden hat. Im Alltag einer Führungsperson wird es immer wieder Situationen geben, in denen, ganz egal wie sie sich entscheidet, negative Konsequenzen mit der Entscheidung verbunden sind. Ist sie bereit, dies zu akzeptieren und auch den Mitarbeitern gegenüber zu erklären, wird die Entscheidung bei jenen auf wesentlich mehr Verständnis und weniger Widerstand stoßen. Dadurch wächst sie in ihrer Funktion als Führungskraft im Laufe der Zeit und schärft ihr Führungsprofil.

Selbstdistanz
Zu sich selbst auf Distanz zu gehen kann im Beratungsprozess ebenfalls eine wirkungsvolle Methode sein. Um dies einzuüben, kann der Berater eine Puppe auf eine erhöhte Position innerhalb des Raumes setzen, der die Funktion einer neutralen, beobachtenden Instanz zugesprochen wird, die im Zweifelsfall zu befragen ist. Eine schwierige Frage kann dann an sie in etwa so gestellt werden: „Was würde X (die Puppe) zu diesem Thema wohl sagen?“ Die Puppe kann selbstverständlich keine Antwort auf die Frage geben. Berater und Klient überlegen gemeinsam, was sie wohl, unter Berücksichtigung der Eigenschaften, die ihr zugesprochen werden, sagen würde. Dadurch lernt der Klient, sich selbst aus einer anderen Perspektive (in diesem Fall jener der Puppe) zu betrachten und kritischer einzuschätzen, als dies bislang der Fall war. Möglicherweise gelangt er im Laufe des Beratungsprozesses zu einem völlig neuen Selbstbild.


Welchen Herausforderungen müssen sich Philosophische Praktiker stellen?

persönlich
Philosophische Praktiker müssen eine genaue Vorstellung davon haben, was zu unterstützen ist und was nicht. Dies setzt ein präzises Selbstverständnis bzw. eine exakte Definition der eigenen Rolle voraus, auf deren Grundlage beurteilt werden muss, ob eine Anfrage für Führungsberatung/Coaching angenommen oder abgelehnt wird. Dem Philosophen muss zudem der Spagat gelingen zwischen einerseits mit Leidenschaft und Hingabe Philosoph zu sein, andererseits jedoch auch geerdet zu sein, d. h. sich auch mit Menschen, die mit Philosophie wenig zu tun haben, normal unterhalten zu können. Aufgrund der anstrengenden Sitzungen v. a. mit mehreren Klienten gleichzeitig (z. B. beim Gruppencoaching) und den teilweise schwierigen Charakteren, mit denen es Beratende zu tun bekommen, sind körperliche Fitness und eine starke mentale Verfassung unverzichtbar, letzteres auch deswegen, weil d. Coach immer mit dem Unerwarteten rechnen muss, bspw. dann, wenn sich im (beruflichen) Leben der Klienten plötzlich Dinge ereignen, die den gesamten bisherigen Beratungsprozess auf den Kopf stellen. Dies kann auch an den Nerven d. Coachs zehren. Wichtig ist ferner, dass d. Coach Mandanten in den Mittelpunkt der Arbeit stellt, nicht sich selbst. Nur so kann man Klienten die Aufmerksamkeit schenken, die sie brauchen und das heißt auch: unnötige Frustration – auf beiden Seiten – zu vermeiden. Bei der Kommunikation ist darauf zu achten, dass Beratende Klienten als ebenbürtige Gesprächspartner achten, ganz egal, wie gebildet sie sind. Andernfalls kann keine Basis entstehen, auf deren Grundlage eine erfolgreiche Beratung möglich ist. Schließlich muss der Berater in der Lage sein, unternehmerisch zu denken, da er als Freiberufler selbst die Verantwortung für den wirtschaftlichen Erfolg seiner Tätigkeit trägt. Kundenorientierung und Qualitätsdenken sind daher unverzichtbar.

sachlich
In sachlicher Hinsicht muss d. philosophische BeraterIn zur Unterstützung der Arbeit adäquate Unterlagen erstellen, die – entsprechend den Zielsetzungen – eigenen Erwartungen gerecht werden. Dazu gehört auch der Entwurf eines einheitlichen Layouts für diese Unterlagen. Sie muss sich darüber hinaus Gedanken um den Ablauf der einzelnen Sitzungen machen. Es empfiehlt sich die Konzeption eines bestimmten Ablaufschemas, das, je nachdem, um welche Art von Führungsberatung es sich handelt bzw. wie viele Teilnehmende es gibt, abgewandelt wird. Die Inhalte der einzelnen Sitzungen gilt es schriftlich festzuhalten und die Notizen zu archivieren. Auf diesen Erfahrungsschatz kann dann jederzeit zurückgegriffen werden. Um stets die zu den jeweiligen Sitzungen passenden Texte schnell parat zu haben, sollten der Philosophische Praktiker eine kleine Bibliothek anlegen, in der die relevanten Texte verfügbar sind. Während der Beratungsgespräche sollten sie – in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation – didaktische Hilfsmittel einsetzen. Dies kann ein Flipchart sein, ein Computerprogramm zur Visualisierung (z. B. PowerPoint) oder sonstiges. Des weiteren darf der Philosophische Berater, sofern er keine Angestellten hat, die administrative Arbeit nicht scheuen, die i. d. R. 40 – 50 % der Zeit in Anspruch nimmt. Dazu gehören der Schriftverkehr, Telefonate oder die Buchführung. Doch auch wenn die philosophische Praxis über Angestellte verfügt, kann nicht einfach jede Art von Arbeit an diese delegiert werden. Um die Kundenaquirierung bspw. muss man sich stets selbst kümmern, da es hierbei wesentlich auf seine Person ankommt. Da der Philosophische Berater Freiberufler sind, besitzen sie einen ganz anderen rechtlichen Status als Arbeitnehmer. Deshalb müssen sie sich um alle steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten selbst kümmern. Auch dies erfordert viel Zeit, Geduld und Spezialwissen.

Literatur:
Fintz, Anette S.: Begleitung von Führungspersonen. Führungscoaching als Philosophische Praxis, in: Detlef Staude (Hg.): Methoden Philosophischer Praxis. Ein Handbuch, Bielefeld 2010. S. 149 – 171.

Internetlinks:
Deutscher Bundesverband Coaching e.V. (5. April 2011), Definition Coaching. http://www.dbvc.de/cms/index.php?id=361.

Samstag, 16. April 2011

SternStunden Philosophische Praxis

Sternstunde Philosophie Schweizer Fernsehen 27. Juni 2010


„Denken fürs Leben – Philosophische Praxis“ Martina Bernasconi (MB) und Roland Neyerlin (RN)im Gespräch mit Norbert Bischofberger (aufgezeichnet am 26. Juni 2010)

http://www.videoportal.sf.tv/video?id=d4216519-b7aa-48d8-b5eb-f09ad2c12f43

MB:
- Missen des Bezugs zum Leben im Studium
- Kennenlernen der Bedeutungen der Begriffe durch Philosophen der Geschichte
→ die Begriffe und Bedeutungspositionen müssen reflektiert und neu gedeutet werden
RN:
- „Leben als Dauerprovisorium“ → Sinn-, Identitäts-, Orientierungsfragen
- wieviel Rezepte kann die Philosophie liefern?
- „Philosophie hat keine Rezepte“
- Weit verbreitetes Gefallen an Rezepten zur Problemlösung
- Spezifisches unserer Zeit?
 Wegbruch des Metaphysischen
MB:
- Identitätsbestimmung, 'wer bist Du?', durch Beruf, etc., war vor 30 Jahren leichter
 heute, pluralisierte Identität(en)
RN:
- antike Form der Philosophie: Lebensberatung zur Lebenskunst in Dialogform
- Enststehung in der griechischen Antike in Zeiten des Umbruchs und der Unsicherheit
- Parallelen besonders zu heute?
FRAGE: - Was ist eine Philosophische Praxis?
- deckt ein breites Spektrum ab (MB)
 vordergründig eine beratende Tätigkeit

RN:- 'Praxis' = 'Handlung'
- Philosophische Praxis: das Denken, als Handlung, als Vollzug
- Einübung der Kompetenz des Selbst
- kein bloßer Wissensverkauf
- Neyerlin als philosophischer Handelsreisender 'never ending tour'
MB:- was für Möglichkeiten bietet mir mein Denken, bzw. biete ich mir (analog zu Körperteil beim Arzt) „Was ist mit meinen Beinen?“
- philosophisches Gehen-Lernen „Wohin können mich die Beine tragen?“
NR:- Philosophie/ren: - Selber-Denken
- Wissenschaftliche Disziplin: Philosophie
letzteres folgt immer aus ersterem
keine (notwendige) Verbindung von beidem: man kann viel Philosophieren,
ohne jemals eine PHILOSOPHIE aufzuschreiben

FRAGE:- Was nützen Erfahrungen aus dem Studium?
- Die Frage wurde von ... behandelt, der sah das so und so, damit habe ich mich schon befasst
- Was sind meine Werte, Überzeugungen, ... ? → Orientierung
RN:- Haltung der ernsthaften Auseinandersetzung
- Wir (Normalos) straucheln zwischen Fundamentalismus und Beliebigkeit
- Philosophische Praxis darf nicht beliebig sein
- Wir wollen herausfinden
- mitunter schwierig: Besucher des Cafés, die schlicht unterhaltsamen Event suchen
- Unterschied: Philosophische Praxis → Begriffsklärung
Stammtisch ~ Meinungskundgebung
- Philosophie ist / bedingt: Innehalten, Zeit nehmen, Kontemplation
MB:- Die Praxis bietet 'Ausstieg', 'Aus-Zeit', 'Zeit-/Raum-Gebung'
- Zeiten des Umbruchs bringt Nähe zur Philosophie, da die Situation der Schaffung neuer Räume des Rückzugs, der Orientierung, Klärung, Überlegung bedarf
- Das Elfenbeinturm-Klischee-Problem
- auch explizites Sprechen über Theorien und Geben theoretischer Inputs
- Vertiefung durch Dialog
- In die psychotherapeutische Praxis schleicht Manche sich hinein (Label: krank, verrückt)
- gewisser Stolz der Kunden der PP
RN:- Schaufenster-Projekt verbindet Privat und Öffentlich
- PP ein hoch politisches Projekt
- es besteht gemeinhin eine mangelhafte Gesprächskultur
- Politik verwechselt Diskussion und Gespräch
- 1. Analyse - Moderation, Operation, Monolog / „Notwendigkeit“ - Wissenschaft
2. Diskussion - vorher fest verteilte Standpunkte - Schlagabtausch
3. Gespräch - offen
4. Therapie
- Das Gespräch birgt das Risiko in sich, dass sich der Standpunkt, den ich eigentlich halten will/wollte, nicht mehr halten lässt.
- Inflationärer Gebrauch von 'Gespräch'
- Sich-Einlassen
- Bildung von Gemeinsamkeit
- Nicht wissen , wohin es geht
- Liebe zur Begegnung
- Lieber betrachten der Vielseitigkeit der PP als strikte Abgrenzung zu anderen Disziplinen
- Handeln statt Behandeln
- keine Heilung
- nicht nur ein Referenzpunkt/-system vorhanden
- Entstehung aus Begegnung
- Orientierungslosigkeit durch Versagen der Systeme/Institutionen
- Ich gebe nichts konkretes, kein Rezept
MB: - Offenheit im Setting
- KEIN Verfügungswissen in PP
- gemeinsamer Sprung in den Ozean / bungee jumping
- keine Methode
RN; - Menschen sind nicht nur therapeutische Objekte
- // Psychotherapie kann keinen Sinn geben
- Philosophie hat verschiedene Zugänge
- Philosophie verschafft Ich-Ferne, Psychotherapie will Ich-Nähe herstellen
- Ich-Ferne durch Wanderung
MB:- andere Form der Suche bietend
- sinnlos Glücklich
- der glückliche Sisyphos
RN:- Sinn ~ Weg
- extreme Beratungskultur für alle Bereiche
- ich lasse mich beraten
- sich beraten ; wir uns , ich mich
- Einübung der Kompetenz der Selbstberatung
- PP ist kein Berater
- Stehen und Fallen mit der Person/Persönlichkeit
- Leidenschaft für die Begegnung und das Gespräch
- Authentizität
- Das sich-Einlassen
- Geschäftssinn
- Neyerlin der bunte Hund
 Ich bin der Weg (wenn auch nicht DIE Wahrheit), jedoch das Leben . . .


Max Otto im Blockseminar Methoden Philosophischer Praxis ,
Universität Konstanz April 2011

Aus Mike Roths Einleitung zur Podiumsdiskussion mit Martina Bernasconi, Anette Fintz, Florian Huber und Detlef Staude 9.4.2011:
Es gab und gibt meines Wissens kein mediales Ereignis, das eine vergleichbare positive Wirkung für das Bekanntmachen PHILOSOPHISCHER PRAXIS hatte
wie die Sendung vom 27, Juni 2010:
http://www.videoportal.sf.tv/video?id=d4216519-b7aa-48d8-b5eb-f09ad2c12f43

Da sagt etwa Roland Neyerlin (Stelle: 20:24):
DENKEN IST EINE ERNSTE ANGELEGENHEIT
und er erinnert an die Dreiteilung (dem Sinne nach)

1 Philosophie und Wissenschaft (methodisch vorgehende Darstellung von Wissen)

2 ÜBERREDUNG ==> viele „öffentliche Diskurse“ haben diesen eristisch-sophistischen Charakter

3 P H I L O S O P H I E R E N im ergebnisoffenen und an Selbstverständigung interessierten Gespräch. Man ist sich einig: Wir wissen noch nicht … doch bemühen uns gemeinsam darum, unhaltbare Positionen zu überwinden.

Vom akademischen Philosophen FIGAL (Uni Freiburg i.B.) und vom „Erfinder“ der modernen >Philosophischen Praxis< ACHENBACH (Bergisch Gladbach/Nähe Köln-Bonn) sind Hörbücher zu Sokrates in Umlauf. Beide sind sich einig, dass „Der, mit dem es anfing“ (das eine, wie das andere – und den Karl Jaspers einen „maßgebenden Menschen“ nennt) – nicht durch ein Werk (in von ihm geschriebenen Büchern) wirkt, sondern durch seine lebenslange Tätigkeit, das Philosophieren. In der Darstellung durch seinen Schüler PLATON in dialogischen Vorlese-Stücken folgen Sokrates und seine Mitspieler einem Muster, dem ELENCHOS (argumentierender Nachweis), einer frühen Form dialogischer Logik (Vgl. Paul Lorenzen & Kuno Lorenz). Dieses halbformale Verfahren führt ja nicht zum Wahrheitsbeweis, vielmehr zur Widerlegung des grundlos für wahr Gehaltenen. (Karl Popper vorwegnehmend)

In derselben Sternstunde-Sendung zur Philosophischen Praxis bekennt Martina Bernasconi, sie habe für Beratung in Philosophischer Praxis „kein Verfügungswissen“ und sie nennt dies auch „keine Methode“. Gleichwohl haben beide hier anwesende Philosophinnen klar strukturierte Beiträge ins METHODEN-Handbuch 2010 gestellt und sie betonen, stets die Gelegenheit beim Schopf zu fassen, für ein gelingendes Gespräch in der PHILOSOPHISCHEN PRAXIS mit den Philosophierenden „Begriffe zu klären“. Wenden sie in diesem Sinn doch eine (eine sprachphilosophische) Methode an?
Auch ich beginne mit einer Begriffsbestimmung, vgl. Paul Lorenzen, Methodisches Denken:
Freigestellt (man darf),
verboten (man darf nicht)
geboten (Du sollst) wie in den 10 Geboten, möglichst mit überzeugenden „guten“ Gründen - dies bezieht sich auf Handlungsweisen. Hier geht es um Handlungsnormen, „Maximen“ des Handelns, die nach Kant so zu gestalten seien, dass sie „zum allgemeinen Gesetz“ werden könnten. Die Entsprechung im Bereich der Sachverhalte, gefasst in Aussagesätzen, ist:
möglich / (freigestellt)
unmöglich / (verboten)
notwendig. (geboten)

Alles Handeln kann sich nur im Bereich des Möglichen bewegen – hin zum Wirklichen. Von Handeln sprechen wir nur, wo Handlungsalternativen bestehen.
Diese können aber mehr oder weniger gut begründet sein. Darum geht es heute.
In dieser Überlegung wurde der Methode der Modallogik gefolgt. Und sie dient auch zur Hinführung auf das Vormittagsprogramm:

Hat Philosophische Praxis Methode(n) ?

A Ist es freigestellt, Methoden
 wenn ja, welche ?
- in der Philosophischen Praxis einzusetzen?
(das bedeutet: es gibt keine Gründe, aus denen es sich verbietet, oder schwächer: nicht empfiehlt)

B Ist es verboten, Methoden
 wenn ja, welche ?
 in der Philosophischen Praxis einzusetzen?
Und mit welchen Gründen?

C Ist es geboten, Methoden
 wenn ja, welche ?
 in der Philosophischen Praxis einzusetzen?
Aus welchen Gründen?

Zufällig sind es die zwei Philosophinnen, die von sich sagen, sie folgen in ihrer Beratungspraxis keiner Methode. Hingegen eröffnen ja die beiden Philosophen den Reigen der Beiträge im Handbuch:Methoden Philosophischer Praxis (2010) mit ihrem Chat zur Bedeutung von Methoden in der Philosophischen Praxis, worin sie sich austauschen über methodisches Vorgehen in ihrer Praxis. Zu meiner Freude sind 4 in eigener Praxis Tätige der Einladung zu dieser öffentlichen und aufgezeichneten Diskussion gefolgt und sie werden in ihren Redebeiträgen zugleich den Zuhörenden einen Eindruck davon geben, was denn (eine) philosophische Praxis ist.

Ich stelle sie Ihnen vor.

Dr. Anette Fintz ist Absolventin dieser Universität. Sie gründete und leitet das Radolfzeller „Institut für Sinn-orientierte Beratung“ (ISOB) und versteht sich heute nach einer Zusatzausbildung als PHILOSOPHIN IN DER WIRTSCHAFT.

Martina Bernasconi studierte Philosophie, Literatur und Medienwissenschaft in Basel, Berlin und New York. Sie betreibt recht erfolgreich und vielseitig seit 2003 in Basel die Philosophische Denkpraxis.

Florian Huber ist Magister der Philosophie und Doktor der Psychologie. Er lebt und arbeitet als freier Philosoph in eigener Praxis (Schwerpunkt Lebensberatung) – am schönen Chiemsee. Er leitet das von ihm initiierte „Rosenheimer Institut Gesundheit & Bildung“.

Detlef Staude ist Koordinator des Netzwerks „philopraxis.ch“ (zu dem auch Bernasconi, Fintz und Roth gehören). Er führt seit 1997 die Philosophische Praxis PHILOCOM in Bern und ist viel unterwegs. Er fährt heute mittags weiter zu einem Café Philo nach Chur. Seit 2009 ist er auch im Vorstand des neuen Berufsverbands Philosophische Praxis, der ein Ausbildungsangebot Philosophische Praxis vorbereitet.

Moderation: Mike Roth. Privatdozent für Philosophie an der Universität Konstanz.

Montag, 11. April 2011

Philosophische Praxis 2011

Philosophie praktisch: Bernasconi, Fintz, Huber, Staude diskutieren METHODEN (2010)- Moderation: Roth

Willkommen zum ersten Teil unseres öffentlichen Seminartags 2011 zur Philosophischen Praxis.

HINWEIS:
Am Nachmittag ab 14 Uhr stellt der Arzt und Philosoph Paul Bischof die im kürzlich erschienenen Buch LEGITIMITÄT ÄRZTLICHER STERBEHILFE ausgearbeiteten Überlegungen vor und es besteht die Möglichkeit sie zu diskutieren. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 31.3.2011 hat die Darmstädter Philosophiedozentin Petra Gehrig neue Richtlinien der Bundesärztekammer und einen dagegen protestierenden Beschluss der Landesärztekammer Hessen (beide 2011) zum Anlass für einen Meinungsartikel genommen. Der Text beginnt: „Die Sache klingt bürokratisch, aber es geht um Leben und Tod.“ Worum geht es?
„Am 21. JAN 2011 hat die Bundesärztekammer ihre Grundsätze (Richtlinien) zur ärztlichen Sterbebegleitung verändert.“Im Untertitel des FAZ-Artikels heißt es: „Dieser Beschluss … verändert das Berufsbild des Arztes: Die deutsche Ärzteschaft stellt sich selbst die Mitwirkung bei der Selbsttötung frei“ - soweit der Hinweis auf heute Nachmittag – ab 14 Uhr, wiederum hier in D 433 !

Freigestellt (man darf),
verboten (man darf nicht)
geboten (Du sollst) wie in den 10 Geboten, möglichst mit überzeugenden „guten“ Gründen - dies bezieht sich auf Handlungsweisen. Hier geht es um Handlungsnormen, „Maximen“ des Handelns, die nach Kant so zu gestalten seien, dass sie „zum allgemeinen Gesetz“ werden könnten. Die Entsprechung im Bereich der Sachverhalte, gefasst in Aussagesätzen, ist:
möglich / (freigestellt)
unmöglich / (verboten)
notwendig. (geboten)

Alles Handeln kann sich nur im Bereich des Möglichen bewegen – hin zum Wirklichen. Von Handeln sprechen wir nur, wo Handlungsalternativen bestehen.
Diese können aber mehr oder weniger gut begründet sein. Darum geht es heute.
In dieser Überlegung wurde der Methode der Modallogik gefolgt. Und sie dient auch zur Hinführung auf das Vormittagsprogramm:

Hat Philosophische Praxis Methode(n) ?

A Ist es freigestellt, Methoden
wenn ja, welche ?
- in der Philosophischen Praxis einzusetzen?
(das bedeutet: es gibt keine Gründe, aus denen es sich verbietet, oder schwächer: nicht empfiehlt)

B Ist es verboten, Methoden
wenn ja, welche ?
in der Philosophischen Praxis einzusetzen?
Und mit welchen Gründen?

C Ist es geboten, Methoden
wenn ja, welche ?
in der Philosophischen Praxis einzusetzen?
Aus welchen Gründen?

Zufällig sind es die zwei Philosophinnen, die von sich sagen, sie folgen in ihrer Beratungspraxis keiner Methode. Hingegen eröffnen ja die beiden Philosophen den Reigen der Beiträge im Handbuch:Methoden Philosophischer Praxis (2010) mit ihrem Chat zur Bedeutung von Methoden in der Philosophischen Praxis, worin sie sich austauschen über methodisches Vorgehen in jeweils ihrer Praxis. Zu meiner Freude sind 4 in eigener Praxis Tätige der Einladung zu dieser öffentlichen und aufgezeichneten Diskussion gefolgt und sie werden in ihren Redebeiträgen zugleich den Zuhörenden einen Eindruck davon geben, was denn (eine) philosophische Praxis ist.

Ich stelle sie Ihnen vor.

Dr. Anette Fintz ist Absolventin dieser Universität. Sie gründete und leitet das Radolfzeller „Institut für Sinn-orientierte Beratung“ (ISOB) und versteht sich heute nach einer Zusatzausbildung als PHILOSOPHIN IN DER WIRTSCHAFT.

Martina Bernasconi studierte Philosophie, Literatur und Medienwissenschaft in Basel, Berlin und New York. Sie betreibt recht erfolgreich und vielseitig seit 2003 in Basel die Philosophische Denkpraxis.

Florian Huber ist Magister der Philosophie und Doktor der Psychologie. Er lebt und arbeitet als freier Philosoph in eigener Praxis (Schwerpunkt Lebensberatung) – am schönen Chiemsee. Er leitet das von ihm initiierte „Rosenheimer Institut Gesundheit & Bildung“.

Detlef Staude ist Koordinator des Netzwerks „philopraxis.ch“ (zu dem auch Bernasconi, Fintz und Roth gehören). Er führt seit 1997 die Philosophische Praxis PHILOCOM in Bern und ist viel unterwegs. Er fährt heute mittags weiter zu einem Café Philo nach Chur. Seit 2009 ist er auch im Vorstand des neuen Berufsverbands Philosophische Praxis, der ein Ausbildungsangebot Philosophische Praxis vorbereitet.

Moderation: Mike Roth. Privatdozent für Philosophie an dieser Universität.
Wir hier auf dem Podium sind gewohnt, uns zu duzen und bleiben auch heute dabei. Ich bedanke mich für die Zustimmung zur Aufzeichnung und auch beim Team der Aufzeichnenden.

Detlef Staude wird PRO Methode sprechen. Anschließend wäre ein Teilnehmer des Kompaktseminars, das in dieser Woche stattfand, bereit über seine Gedanken beim Anschauen der Sendung des Schweizer Fernsehens STERNSTUNDE PHILOSOPHIE mit Martina Bernasconi und Roland Neyerlin zur Philosophischen Praxis zu sprechen. Die Reihenfolge der weiteren Wortmeldungen ergibt sich dann. Wobei die beiden Philosophinnen sicher erläutern werden, wie es zu verstehen ist, dass sie die Position „KEINE METHODE IN DER PHILOSOPHISCHER PRAXIS“ vertreten. Aber sie werden das freilich in ihre eigenen Worte fassen.

Es gab und gibt meines Wissens kein mediales Ereignis, das eine vergleichbare positive Wirkung für das Bekanntmachen PHILOSOPHISCHER PRAXIS hatte
wie die Sendung vom 27, Juni 2010
„Denken fürs Leben – Philosophische Praxis“ Martina Bernasconi und Roland Neyerlin im Gespräch mit Norbert Bischofberger,

http://www.videoportal.sf.tv/video?id=d4216519-b7aa-48d8-b5eb-f09ad2c12f43



Da sagt etwa Poland Neyerlin (Stelle: 20:24):
DENKEN IST EINE ERNSTE ANGELEGENHEIT
und er erinnert an die Dreiteilung (dem Sinne nach)

1 Philosophie und Wissenschaft (methodisch vorgehende Darstellung von Wissen)

2 ÜBERREDUNG ==> viele „öffentliche Diskurse“ haben diesen eristisch-sophistischen Charakter

3 P H I L O S O P H I E R E N im ergebnisoffenen und an Selbstverständigung interessierten Gespräch. Man ist sich einig: Wir wissen noch nicht … doch bemühen uns gemeinsam darum, unhaltbare Positionen zu überwinden.

Vom akademischen Philosophen FIGAL (Uni Freiburg i.B.) und vom „Erfinder“ der modernen >Philosophischen Praxis< ACHENBACH (Bergisch Gladbach/Nähe Köln-Bonn) sind Hörbücher zu Sokrates in Umlauf. Beide sind sich einig, dass „Der, mit dem es anfing“ (das eine, wie das andere – und den Karl Jaspers einen „maßgebenden Menschen“ nennt) – nicht durch ein Werk (in von ihm geschriebenen Büchern) wirkt, sondern durch seine lebenslange Tätigkeit, das Philosophieren. In der Darstellung durch seinen Schüler PLATON in dialogischen Vorlese-Stücken folgen Sokrates und seine Mitspieler einem Muster, dem ELENCHOS (argumentierender Nachweis), einer frühen Form dialogischer Logik. Dieses halbformale Verfahren führt ja nicht zum Wahrheitsbeweis, vielmehr zur Widerlegung des grundlos für wahr Gehaltenen.

In derselben Sternstunde-Sendung zur Philosophischen Praxis bekennt Martina Bernasconi, sie habe für Beratung in Philosophischer Praxis „kein Verfügungswissen“ und sie nennt dies auch „keine Methode“. Gleichwohl haben beide hier anwesende Philosophinnen klar strukturierte Beiträge ins METHODEN-Handbuch 2010 gestellt und sie betonen, stets die Gelegenheit beim Schopf zu fassen, für ein gelingendes Gespräch in der PHILOSOPHISCHEN PRAXIS mit den Philosophierenden „Begriffe zu klären“. Wenden sie in diesem Sinn doch (eine sprachphilosophische) Methode an?

Das Wort hat nun der Herausgeber der Textsammlung Methoden der Philosophischen Praxis. Dann sehen wir weiter.

Freitag, 25. März 2011

Seminar 4.4. - 9.4. D433 Uni KN

MO: Die Eroeffnung mit einem handout und freier Rede zu Eva Schiffer: EINE PHILOSOPHISCHE PRAXIS FUER UNSERE ZEIT macht Lydia Wobst. Tillmann Weisser führt ein in Imre Hofmann: Experiment PHILOSOPHIEREN (außerhalb "akademischer" Fachdiskurse)

DI: Thema Detlef Staude / Florian Huber. Beide Autoren werden am 9.4. zur METHODEN-Debatte nach Konstanz kommen. Einführung macht
Maximilian Otto

MI : TRAUN - philosophisch. Sara Telatar stellt die Konzeption der Basler Philosophischen Praktikerin Martina Bernasconi vor. Siehe auch: http://www.denkpraxis.ch/denkbuch.htm

DO: Sternstunde Philosophie zur Philosophischen Praxis (Martina Bernasconi und Roland Neyerlin im Interview). Beitraege aus dem Methoden Handbuch nach Wahl: . . .Sergej Tkatschenko

FR: PP als LEBENSFORM & FUHRUNGSCOACHING. Moritz Scherzer behandelt den Ansatz von Anette S. Fintz. Fortsetzung am 9.4. moeglich, da zur Debatte um METHODE Anette Fintz anwesend ist.

Donnerstag, 24. März 2011

Was ist Philosophische Praxis ?

SAMSTAG: METHODEN-Debatte ab 9 Uhr
Die Diskussion PRO oder CONTRA Methode in PHILOSOPHISCHER PRAXIS mit AutorInnen
des Sammelbands Detlef Staude (Hg.), Bielefeld 2010
soll um 9 in Raum D 433 beginnen. Mike Roth eröffnet und wird dann Detlef Staude und Florian Huber bitten, PRO METHODE(n) in der philopraxis zu argumentierenen, danach Anette S. Fintz und Martina Bernasconi CONTRA.

> Zwischenfragen aus dem Plenum
>
> Diskussionsbeiträge weiterer AutorInnen und des Herausgebers pro & con
> (mitbezug auf Inhalte der Beiträge im Handbuch)
>
> Diskussion im Plenum / Fragemöglichkeit zu einzelnen Beiträgen
>
> Versuch eines ZwischenFazits
>Freie Diskussionszeit

> Mittagspause
>
> Es könnte gut sein, dass wir mit Buch 1 (Handbuch) dann schon fertig sind. Einige werden schon die Rückreise beginnen. Andere werden neu hinzukommen.
>
> Ab 14 h geht es weiter - vielleicht schon mit Buch 2 (Bischof) -
> LEGITIMITAET ÄRZTLICHER STERBEHILFE
erschienen am 12. März 2011. Paul Bischof trägt Kerngedanken vor.

Diskussion

Mittwoch, 23. März 2011

Angewandte Ethik und Philosophische Praxis

Angewandte Ethik und Philosophische Praxis

Jemand schrieb uns:
Ich vertrete in der Tat die These, dass Philosophische Praxis keine Psychotherapie ist. Das hat mehrere Gründe. So z.B. die prinzipielle Nachrangigkeit der (modernen) Psychologie hinter der Philosophie. Auch qua Bezeichnung kann PP keine PT sein, denn sonst hieße sie ja PT und nicht PP (klingt lustig, ist aber ernst gemeint). Folgt man Ruschmanns Buch zur Philosophischen Beratung, so ist PP nicht einmal Beratung. PP kann jedoch als Methode, die in, aus sowie in Bezug auf die PP als Institution entwickelt worden ist und noch dringend der weiteren (und tieferen) Entwicklung bedarf, im Repertoire oder zumindest in Bezug auf das Repertoire oder das typische handlungsleitende Ziel von klassischen Beratungs-, Therapie - und ev. sogar Seelsorgeformen auftauchen.
Allerdings vertrete ich nicht die These (Ihre Klammersetzung ist da recht missverständlich bzw. uneindeutig), dass die PP keine Therapie sei. Denn, sie ist, selbstverständlich, Therapie; so übrigens auch der durchaus affirmativ gemeinte Charakter des Titels meiner Dissertation: "Philosophie als Therapie".
Es lässt sich sogar sagen, dass unter bestimmten Bedingungen das Ergebnis von Philosophie als Therapie das höchste Ziel der PP ist.
Ich mache mir die kommenden Tage gerne Gedanken, wieviel bzw. wie wenig ich bereits mitteilen kann, ohne dass meine Thesen aus dem Zusammenhang gerissen sind und ohne Teile meines Dissertationscorpus bereits im Vorab einer quasi öffentlichen Leserschaft zur Verfügung zu stellen (leider ist die Promotionsordnung an dieser Stelle sehr strikt).
Bei den Gründen, weshalb PP keine Psychotherapie sein kann, gehe ich übrigens, soweit ich das überblicken kann, mit der Kollegin konform.

Mit freundlichen Grüßen
A K

Lieber A K,


Sie haben uns kontaktiert, weil Sie philopraxis.ch besser kennen lernen wollten. Im Verlaufe erwähnten Sie die Unterscheidung zwischen Angewandter Ethik und Philosophischer Praxis. Sie wiesen, wie Frau Bernasconi. darauf hin, dass PP keine (Psycho-)Therapie sei.

Uns würde Ihre Position sehr interessieren. Im Rahmen eines Kompaktseminars vom 4.- 9. April beschäftigen wir uns mit der Frage der Methode(n) in der PP. In dem Zusammenhang wäre eine Abgrenzung der PP von Angewandter Ethik ein interessanter Punkt. Könnten Sie uns Ihre Ideen mitteilen, auch wenn sie noch nicht in Schriftform vorliegen?
Der Kompaktkurs endet am Samstag, 9.4. mit einer Diskussion der gelesenen Texte. Dabei werden mehrere Autoren von METHODEN PHILOSOPHISCHER PRAXIS (ed.: Detlef Staude, Bielefeld 2010) anwesend sein und ihre Positionen darlegen.

Mit freundlichen Grüßen vom Bodensee

Tillmann Weißer

Mittwoch, 16. März 2011

Lieber N.N.,

info via UNI Konstanz , Fb Philo
Volkbert (M.) Roth. Dort zwei streams.
Veranstaltungsverzeichnis 2011 verweist auf:
METHODEN PHILOSOPHISCHER PRAXIS (ed.: Detlef Staude, Bielefeld 2010)

Roth/Staude (eds. ) Das OrientierungsLos. Konstanz 2010 Taschenbuch
Band I der 2008 begonnenen Reihe PHILOSOPHISCHE PRAXIS
im Hartung-Gorre Verlag Konstanz
Band II "Wir üben" (zu Sloterdijk)
Band III ist gestern erschienen: Paul Bischof, Legitimität Ärztlicher Sterbehilfe

weitere Bände sind geplant. Suchen Sie einen Ort für die Publikation Ihrer Schrift?
Wenn Sie einige der Autor(inn)en in Kontroverse um METHODE
in der pp kennen lernen wollen, so bietet der 9.4.11 eine gute Gelegenheit,
UNI KONSTANZ ab 9 UHR D433

Martina Bernasconi betont vehement: Philosophische Praxis ist keine Therapie.
Für Gesprächsstoff ist also gesorgt.



Kollegiale Grüße
PD Dr. Volkbert M. Roth
SinnPraxis Insel Reichenau & unterwegs
philopraxis-feigenblaetter.blogspot.com



Am Dienstag, 15. März 2011 08:22 CET, N.N. schrieb:

> Sehr geehrter Herr Roth,
> sehr geehrte Damen und Herren,
>
> bei den Recherchen zu meiner Dissertation "Philosophie als Therapie", die anthropologische Begründungsversuche der philosophischen Praxis untersucht, entdeckte ich die philopraxis-blog-Seite. Bitte informieren Sie mich ausführlicher über Ihr Projekt.
>
> Mit freundlichen Grüßen

Donnerstag, 24. Februar 2011

Blockseminar 4.4. - 9.4.

Blockseminar 4.4. - 9.4. D433 Uni KN

MO: Die Eroeffnung mit einem handout und freier Rede zu Eva Schiffer: EINE PHILOSOPHISCHE PRAXIS FUER UNSERE ZEIT macht Lydia Wobst. Tillmann Weisser führt ein in Imre Hofmann: Experiment PHILOSOPHIEREN (außerhalb "akademischer" Fachdiskurse)

DI: Thema Detlef Staude / Florian Huber (noch frei). Beide Autoren werden am 9.4. zur METHODEN-Debatte nach Konstanz kommen.

MI : TRAUN - philosophisch. Sara Telatar stellt die Konzeption der Basler Philosophischen Praktikerin Martina Bernasconi vor. Siehe auch: http://www.denkpraxis.ch/denkbuch.htm

DO: Sternstunde Philosophie zur Philosophischen Praxis (Martina Bernasconi und Roland Neyerlin im Interview). Beitraege aus dem Methoden Handbuch nach Wahl: . . .

FR: PP als LEBENSFORM & FUHRUNGSCOACHING. Moritz Schlitzer behandelt den Ansatz von Anette S. Fintz. Fortsetzung am 9.4. moeglich, wenn zur Debatte um METHODE Anette Fintz anwesend ist.

Wer mit seiner UNI-mail als Teilnehmer angemeldet ist, kann in ILIAS auf den Ordner
"Aktuelle Texte zur Philosophischen Praxis" zugreifen. (mail to: mike.roth@uni-konstanz.de)

Freitag, 11. Februar 2011

BildungsReformation / Lydia Wobst

Philosophische Praxis heute: Sloterdijk

Bildungreformation
Ein Vergleich der Humboldtschen Universitätsidee mit Slotderdijks Haus des Wissens


I.Einleitung

II.Sloterdijks Theorie
II.1 Der absolute Imperativ und Immunologie
II.2 Anthropotechniken
II.3 Trainerwesen und Vertikalität
II.4 Das große Haus des Wissens
II.5 Der Sloterdijksche Bildungsbegriff

III. Humanistische Position
III.1 Der Humboldtsche Bildungsbegriff und Universitätsgedanke
III.2 Aufgaben der Universität, Methodik in Humboldts Theorie

IV. Gemeinsamkeiten und Differenzen

V. Fazit

VI. Literaturverzeichnis
Anmerkungen

I. Einleitung

Vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, worin der Schwerpunkt einer Reformation des Bildungssystems bestehen muss, wenn die Menschheit durch diese dazu befähigt werden soll eine globalen Krise abzuwehren.
In seinem über 700 Seiten umfassenden, philosophischen Essay ''Du musst dein Leben ändern, Über Anthropotechnik'' stellt Peter Sloterdijk eine neue anthropologische, sowie moralphilosophische Betrachtung über die Menschheit vor. Mit seiner Theorie stellt er eine Konstruktion des Menschen als übendes Subjekt auf. Dessen Streben soll bestimmt werden durch einen moralischen Imperativ, den Sloterdijk als absoluten Imperativ bezeichnet. Dieser lautet, wie der Titel schon vermuten lässt: Du musst dein Leben ändern! In seiner Theorie stellt Sloterdijk immer wieder praktische Bezüge her. Diese geben Auskunft über die Methoden, mit welchen der absolute Imperativ durchzusetzen ist. Unter anderem argumentiert er für eine Reformation des Bildungssystems. Diese sei notwendig um einer globalen Krise zu entgehen. Den aktuellen, revolutionären Ausschreitungen in den Arabischen Ländern liegt (u.a.) ebenfalls die Forderung nach Bildung zugrunde. Daher stellt sich erstens die Frage wie Bildung überhaupt zu definieren ist und zweitens welchen Zweck sie innerhalb einer politischen Gemeinschaft erfüllt. Um hierauf zu einer Antwort zu gelangen arbeite ich im Folgenden zunächst die wesentlichen Aspekte von Sloterdijks Theorie heraus und untersuche sie hinsichtlich der Fragestellung. Im weiteren Verlauf stelle ich den humanistischen Bildungsbegriff anhand von Humboldts Universitätsidee vor, da dieser meines Erachtens deutliche Parallelen, aber auch einige Diskrepanzen, zu Sloterdijks Theorie aufweist. In einem Vergleich der beiden Konzeptionen wird sich zeigen, dass die beiden hinsichtlich ihrer Zielsetzung konvergieren, aber in der Methodik bedeutsame Unterschiede aufweisen. Es gilt also zu untersuchen, welche der beiden Methoden effizienter bezüglich der gemeinsamen Zielsetzung erscheint.


II.Sloterdijks Theorie
II.1 Der absolute Imperativ und die Immunologie

Der absolute Imperativ "Du musst dein Leben ändern" wendet sich laut Sloterdijk an jeden Menschen. Er entspringt der allgemeinen „Einsicht, daß es nicht so weitergehen kann“1, begründet in der partiellen Enthüllung einer globalen Krise. So wird der Mensch heute immer häufiger Opfer von Naturkatastrophen in großem Ausmaß, welche er letztendlich selbst mitverschuldet hat. Ebenso zeigen Wirtschaftskrisen, soziale Krisen, also Armut, Hungersnot, Terrorismus und Krieg, dass die Menschheit noch weit von einem harmonischen Miteinander entfernt ist. In den Medien wird er mit Prophezeiungen weiterer Katastrophen konfrontiert, sei es in Romanen, Filmen, Dokumentationen oder Experteninterviews. Diese warnen: „Ändere dein Leben! Andernfalls wird früher oder später die vollständige Enthüllung euch demonstrieren, was ihr in der Zeit der Vorzeichen versäumt habt!“2 Dass der Mensch sich dem absoluten Imperativ nicht entziehen kann, begründet Sloterdijk anthropologisch, nämlich in der „immunitären Verfassung des Menschenwesens“3. Hiermit bezieht er sich nicht auf das biologische Immunsystem, das den Körper schützt, sondern auf ein weiteres, symbolisches, welches den menschlichen Geist absichert. Die daraus hervorgehenden Handlungsstrukturen unterscheidet er in sozioimmunologische und psychoimmunologische Praktiken. Sozioimmunologisch sind jene, die das soziale Miteinander sichern (z.B.: Solidarität), psychoimmunologisch hingegen jene, die die eigene Existenz angesichts ihrer sicheren Endlichkeit mit Sinn erfüllen und somit auch die psychische Verwundbarkeit mindern (z.B.: Religiösität). Bilden mehrere Menschen eine Gemeinschaft, gehen sie ein überindividuelles Immunitätsbündnis miteinander ein. Sloterdijk erklärt „sämtliche historischen Sozialverbände von den Urhorden bis zu den Weltreichen (...) in systematischer Sicht als Ko-Immunitätsstrukturen“4




II.2 Anthropotechniken

Wenn sich also die globale Krise ankündigt, appelliert sie in Form des absoluten Imperativs an eben jenes geistige Immunsystem und fordert den Menschen auf, seinen evolutionären Status durch verschiedene Übungen zu optimieren, welche Sloterdijk unter dem Begriff "Anthropotechniken" zusammenfasst. Als Übung definiert er „jede Operation, durch welche die Qualifikation des Handelnden zur nächsten Ausführung der gleichen Operation erhalten oder verbessert wird, sei sie als Übung deklariert oder nicht.“5 Der Mensch muss sich durch Anthropotechniken ändern, sich verbessern, um die Krise abzuwehren. Dies kann nach Sloterdijk ausschließlich durch innere Aktivierung geschehen. Der absolute Imperativ kann zwar als äußere Aktivierung angesehen werden, allerdings nur im Sinne einer Ursache.6 Deren Wirkung beschreibt Sloterdijk folgendermaßen: „Sein Leben ändern heißt nun: durch innere Aktivierungen ein Übungssubjekt heranbilden, das seinem Leidenschaftsleben, seinem Habitusleben, seinem Vorstellungsleben überlegen werden soll“.7 In dieser Definition werden zwei fundamentale Gedanken Sloterdijks erkenntlich. Zum Einen macht die Formulierung „zum Übungssubjekt heranbilden“ deutlich, dass es sich um einen lebenslangen Prozess handelt; die durch Anthropotechniken zu erreichende Perfektion besteht in einem bewusst ständig übenden Menschen. Zweitens gewinnt man einen Einblick in sein Bild vom Menschen als ein Wesen, das einerseits von seinen Gewohnheiten, andererseits von seinen Ideen beherrscht wird und dessen Streben darin bestehen soll, die Vernunft zur Kontrollinstanz dieser auszubilden. Dies wird besonders offenkundig wenn Sloterdijk den Begriff des Menschen (ánthropos) über die beiden Extreme daímon und ēthos definiert: „Von Gewohnheiten und Trägheiten besessen, erscheint er unterbeseelt und mechanisiert; von Leidenschaften und Ideen besessen, ist er überbeseelt und manisch übersteuert.“8. Übung beschreibt also „selbstformendes und selbststeigerndes Verhalten“9 in dem Sinne, dass man die eigene Trägheit überwindet und vernünftig und unter ständiger Selbstkontrolle handelt. Anthropotechniken orientieren sich jederzeit am Unmöglichen: am Perfekten. Sloterdijk beschreibt das menschliche Leben als ein „Gefälle zwischen höheren und niederen Formen“10. Der Mensch muss sich seines eigenen Standpunktes auf diesem Gefälle bewusst werden und sich durch Übung hinaufarbeiten. Besonders interessant ist es, dass dies Sloterdijk zufolge immer eine Handlung darstellt. die dem menschlichen Willen entspricht, da ein jeder die eigene Unvollkommenheit fühlt und sich seines inneren ''Noch-nicht-Zustandes'' bewusst ist.


II.3 Trainerwesen und Vertikalität

Von dieser Konzeption ausgehend stellt Sloterdijk nun zehn Typen von Trainern vor, deren Aufgabe darin bestehen soll, das Individuum zu führen. Diese zehn Typen teilt er wiederum in spirituelle und pragmatische. Das spirituelle Trainerwesen umfasst den Guru, den buddhistischen Meister, den Apostel, den Sophisten und den Philosophen, das pragmatische Trainerwesen den Athletentrainer, den Handwerks- bzw. Kunstmeister, den akademischen Professor, den profanen Lehrer und den Aufklärungsschriftsteller. „Im Zusammenspiel von Sich-Operieren und Sich-Operieren-Lassen vollzieht sich“ nach Sloterdijk schließlich „die gesamte Sorge des Subjekts um sich selbst.“11. Diese Rückbeziehung bezeichnet er als ''auto-operative Krümmung''. Seine evolutionäre Betrachtung geht weiter: Indem sich Hochkulturen bilden, welche Ausnahmeleistungen zu Konventionen erheben, entsteht schließlich was wir als Seele bezeichnen. Das Innere des Menschen beschreibt nun nicht mehr nur eine Aufwallung von Affekten. Da der Einzelne sich am unmöglich nachzuahmenden Beispiel orientieren soll, richtet er seine Aufmerksamkeit auf sich Selbst., das heißt er reflektiert über das eigene Wesen bzw. die eigene Handlung. Dieses `Selbst´ ist bestimmt als Seele, die vertikal orientierte Übung also Seelenbildung.


II.4 Das große Haus des Wissens

Der Trainer agiert nun als Führer ins Unwahrscheinliche. Seine Aufgabe ist es dem Einzelnen das Unwahrscheinliche attraktiv zu machen und ihn dabei blind für die Paradoxie zu machen, das unmöglich Nachzuahmende nachzuahmen. An dieser Stelle betont Sloterdijk besonders deutlich, dass der Trainer die Widersprüchlichkeit seiner Botschaft durch „Überbelichtung und Überbetonung“12 verschleiern soll. Die innere Aktivierung basiert hier also lediglich auf Bewunderung und somit letztendlich auf Eifersucht. Dass Sloterdijk sie nun weiterhin als innere Aktivierung bezeichnet, erscheint aufgrund seiner vorherigen Definition widersprüchlich. Deren Folgen beschreibt er anfangs als „Ausbildung eines Übungssubjektes“, welche sich in der „Einsicht, dass es so nicht weitergehen kann“13 gründet. Wer dumm gehalten wird, und nichts anderes bedeutet das Blindmaschen für die besagte Paradoxie an dieser Stelle, kann allerdings schwer zu wahrer Einsicht kommen. Dabei liefert die Erkenntnis, dass es nötig ist. das eigene Leben zu ändern, um die globale Krise abzuwehren, Grund genug nach „Unerreichbarem“ zu streben, da sich das scheinbar Unerreichbare durch eben jenes Streben zum Erreichbaren entwickelt. Wenn in der heutigen Gesellschaft14 ein Zustand vollkommenen Weltfriedens als utopisch und somit unerreichbar erscheint, so ist es dennoch nicht unwahrscheinlich, dass dies in zukünftigen Generationen nicht mehr der Fall ist. Genau das beinhaltet Sloterdijks Forderung; wenn du jetzt beginnst dein Leben zu ändern und dies an deine Nächsten15 weiter trägst, besteht die Möglichkeit einer Menschheit, die nur noch aus bewusst übenden Subjekten besteht und in dieser realisiert sich letztendlich was heute als Utopie erscheint. Nichts anderes sagt schon Albert Camus in „Weder Opfer noch Henker“:

"Menschen die beschließen würden, bei jeder Gelegenheit (..) auf alle Vorteile der heutigen Gesellschaft zu verzichten und nur die Aufgaben und Pflichten übernehmen würden, die sie mit den anderen Menschen verbinden; die sich bemühen würden nach den Verhaltensgrundlagen, von denen bisher die Rede war, vor allem im Unterricht zu wirken, dann die Presse und die öffentliche Meinung zu orientieren; solche Menschen würden nicht im Sinne einer Utopie handeln, das ist absolut klar, sondern nach einem äußerst ehrlichen Realismus. (...) Wenn Realismus die Kunst ist, der Gegenwart und der Zukunft zugleich Rechnung zu tragen, soviel wie möglich zu erreichen und dafür so wenig wie möglich zu opfern, wer sieht da nicht ein, dass diesen Menschen die blendendste Wirklichkeit zuteil würde?"16
Es scheint daher, als manifestiere sich in Sloterdijks Trainerfigur sein Misstrauen in die Vernunft der Mitmenschen bzw. deren Einsichtsvermögen. Wenngleich die Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung der Menschheit, sowie die Einbeziehung ihres allgemeinen Bildungsstandes dieses Misstrauen bestätigt, wäre etwas mehr Optimismus durchaus nicht ungerechtfertigt, da er doch selbst eine Lösung anbietet; „die Durchsetzung eines sachlich und methodisch disziplinenbasierten Hochschulsystems (..) fundiert in einer reformierten Idee von den Gegenständen und Aufgaben eines Großen Hauses des Wissens“17. Er offeriert eine Einteilung der Disziplinen, welche in dieser Bildungsinstitution gelehrt und studiert werden sollen, in 13 Kategorien:

„1. Akrobatik und Ästhetik, 2. Athletik (allgemeine Sportartenkunde), 3. Rhetorik und Sophistik, 4. Therapeutik, 5. Epistemik (einschließlich der Philosophie), 6. Allgemeine Beruf-Kunde, 7. Maschinistische Techniken-Kunde, 8. Administravistik (dazu gehört Politik und Recht), 9. Enzyklopädie der Meditationssysteme, 10. Ritualistik, 11. Sexualpraxiskunde, 12. Gastronomik, 13. eine offene Liste kultivierungsfähiger Aktivitäten.“18

Sloterdijk beendet hiernach leider sämtliche Überlegungen zu einer Bildungsreformation und unterlässt es, eine genauere Konzeption auszuarbeiten, da er für deren Entwicklung 100 Jahre veranschlagen würde.


II.5 Der Sloterdijksche Bildungsbegriff

Sloterdijk gibt weitere Anforderungen an das Bildungssystem zu erkennen: So soll die Hauptaufgabe des Schulbetriebs, insbesondere die des Hochschulbetriebs, darin bestehen, das Subjekt dazu zu motivieren, den absoluten Imperativ zu registrieren und zu verinnerlichen, folglich zu beginnen das eigene Leben zu ändern. Die Vorbereitung auf Ämter spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle.19 Bildung ist folglich definiert als vertikal orientierte Seelenbildung. Die notwendige Reformation besteht infolgedessen nicht nur in der inhaltlichen und methodischen Verankerung der Disziplinen, sondern auch in der Ausführung der Wissensvermittlung. Den Lehrkörpern wird die Rolle eines Trainers zugeordnet20. Dies wird besonders erkenntlich, wenn Sloterdijk die Grundannahmen des aktuellen Bildungssystems kritisiert:
„Diese [die Hochschulpädagogik] hält wider besseren Wissens an der Koffer- und Kisten-Theorie fest, wonach Lehren und Lernen nichts anderes als das Umfüllen von Wissen aus dem Professorenkoffer in die Studentenkiste sei (...)“21.

Die moderne Gesellschaft, in der wir leben, orientiert sich fälschlicherweise am wissenschaftlichen und technischen Fortschritt, an Stelle von Menschenbildung. Schon Nietzsche beschrieb in „Götzen Dämmerung“ die Degradierung der (deutschen) Bildung zu einer gelehrten Fachbildung22. Aber Sloterdijk fordert hier nicht nur eine Reformation des Bildungssystems, er fordert jeden Menschen auf, sich Selbst zu reformieren. Sich der eigenen Rolle in dem solidaristischen Immunitätsbündnis, welchem man angehört, bewusst zu werden und eine Idee auszubilden, welche die perfekte, unerreichbare Verwirklichung dieser Rolle zum Gegenstand hat. An diesem Ideal orientiert sich die individuelle Vertikalität. Sloterdijk fordert dazu auf, die eigene Seele zu bilden und andere ebenfalls dazu zu motivieren. Der Hochschullehrkörper ist von dieser Forderung besonders betroffen, denn „die Einführung ins Unwahrscheinliche hat fürs Erste (..) nichts mit Kinderführung zu tun, sie wendet sich an Erwachsene, die auf halbem Lebensweg begreifen, dass das gewöhnliche Menschsein nicht mehr genügt“23. Die Universitätsausbildung steht somit im Mittelpunkt der geforderten Reformation.


III. Humanistische Position
III.1 Der Humboldtsche Bildungsbegriff und Universitätsgedanke

Wilhelm von Humboldt vertritt eine liberale Wissenschafts- und Staatsauffassung, sowie eine humanitäre Bildungsposition. Bei Bildung geht es folglich nicht nur um Wissensvermittlung und Berufsvorbereitung, sondern darum das Individuum geistig zu fördern und zum vernunftsmäßigen Handeln zu befähigen24. Um Humboldt zu verstehen ist es notwendig sich bewusst zu machen, dass er den Menschen als Mängelwesen betrachtet. Die Fähigkeiten, die jeder in sich trägt, müssen zunächst hervorgeholt und dann weiterentwickelt werden. Dem Individuum soll absolute Selbstständigkeit bzw. Autonomie25 ermöglicht werden. Wissenschaft ist hierbei also Zweck an sich. Es geht nicht um Nützlichkeit, sondern um die eigene, persönlichkeitsbildende Suche nach Wahrheit. Aufgrund von diesem Bildungsverständnis unterscheidet Humboldt drei Stadien des Unterrichts: Elementarunterricht, Schulunterricht und Universitätsunterricht: „Der Elementarunterricht soll bloß in Stand setzen, Gedanken zu vernehmen, auszusagen, zu fixiren (und) fixirt zu entziffern (..).“ 26 „Der Zweck des Schulunterrichts ist die Übung der Fähigkeiten, und die Erwerbung der Kenntnisse, ohne welche wissenschaftliche Einsicht und Kunstfertigkeit unmöglich ist.“27 Der bloße Lehrer wird durch den Schulunterricht entbehrlich, denn „der Universitätsunterricht setzt nun in Stand, die Einheit der Wissenschaft zu begreifen und hervorzubringen (..)“ 28 Bildung bedeutet demnach nicht nur Kenntnisse zu erlangen, sondern diese auch zu gebrauchen und deren Status zu verstehen. Dazu muss die Gesamtheit der Erkenntnis dargestellt werden: Die Grundlagen allen Wissens müssen anschaulich vermittelt werden, damit daraus die Fähigkeit entsteht sich in jedes Gebiet des Wissens einzuarbeiten. Der Student kann sich auf dieser Basis schließlich nach den eigenen Interessen und Fähigkeiten orientieren. Er verfügt über eine gut durchreflektierte Basis und die Fähigkeit gesellschaftlich effektive Perspektiven zu entwickeln29. Humboldt trennt also ganz klar Nützlichkeit und Wahrheitssuche. Er ist sich durchaus bewusst, dass das Verhältnis akademischer Freiheit zu praktischen Notwendigkeiten beachtet werden muss. Jedoch verändern sich diese Notwendigkeiten in einer modernen Gesellschaft so radikal, dass sie nicht als Endzweck betrachtet werden können. In der Wandelbarkeit des Nützlichen und der Zufälligkeit der eigenen Verbindung zum Staat liegt nach Humboldt auch der Grund für die Instabilität der bürgerlichen Gesellschaft. Die eigene Identität ist nur eine scheinbare, erzwungene.


III.2 Aufgaben der Universität, Methodik in Humboldts Theorie

Die Akademie soll nun die wahrhafte innere Identität fördern. Es geht um Selbstaufklärung. Dem Menschen muss bewusst werden, dass die Welt, in der er lebt, Produkt der Entwicklungsgeschichte der Menschheit ist und er muss seinen eigenen Standort in dieser bestimmen. Das Universitätsstudium soll den Einzelnen aus seiner eigenen subjektiven Perspektive befreien und in eine alle Subjektivitäten umfassende Objektivität einführen30. Humboldt ist daran gelegen, „das zerstreute Wissen und Handeln in ein geschlossenes, die bloße Gelehrsamkeit in eine gelehrte Bildung, das bloß unruhige Streben in eine weise Tätigkeit zu verwandeln“31 Das zugrunde liegende Bildungsverständnis orientiert sich an dem Ideal der Menschengestaltung durch Selbstentfaltung. Wo etwas verstanden wird, bleibt der Verstehende nicht mit sich selbst identisch. Wahre Erkenntnis geht durch den ganzen Menschen hindurch, bringt ihn dazu seine bisherigen Ansichten und Einstellungen neu zu überdenken und der gewonnenen Erkenntnis anzupassen. Letztlich führt dies zum Überdenken und Umformen des eigenen Charakters. Die Aufgabe der Universität besteht also darin, eine wahre universitas litterarum zu werden: Eine Institution, welche die Gesamtheit der Wissenschaften pflegt und vermittelt und den Studierenden eine humanistische Bildung ermöglicht. Humboldt definiert Bildung folgendermaßen:

„Bildung besteht einmal in der Erweiterung der Weltansicht, zum anderen bezeichnet sie die Kultivierung und Erhöhung, den ständigen Prozess der Vollendung des Ich, bis zur Repräsentanz der Idee der Menschheit in der Totalität des Besonderen.“32.

In dieser Definition konzentriert sich, was von Sloterdijk gefordert wird. Dadurch, dass ich mich bilde, übe ich mich darin mein eigenes Ich zugunsten der Menschheit zu perfektionieren. An Sloterdijks Forderung ist also lediglich ihre imperative Form neu. Der Bildungsindividualismus beinhaltet; du musst dein Leben ändern. Jeder soll sich aus sich selbst heraus und um seiner selbst willen entwickeln. Humboldts Bildungs- und Erziehungsdenken bezieht sich, genau wie Sloterdijks Übungsbegriff, auf das ganze Leben. Es beschreibt ein kontinuierliches Üben bzw. permanente Reflexion der eigenen Denk- und Handlungsweise. Humboldt merkt ebenfalls an, dass nicht nur der Erzieher, Lehrer und Gesetzgeber dazu bestimmt ist den Menschen zu bilden. „Jeder Mensch (..) hat die Obliegenheit auf sich (..) auf die intellektuelle und moralische Bildung seiner und andrer praktische Rücksicht zu nehmen“33.


IV. Gemeinsamkeiten und Differenzen

Bei beiden beiden Theorien besteht das Ziel der akademischen Bildung nicht darin einen Menschen auszubilden, der wettbewerbsfähig ist und den Staat wirtschaftlich weiterbringt. Unsere Gesellschaft ist in dieser Hinsicht fehlorientiert und die Regierung, die doch eigentlich großes Interesse am Charakter und Handeln der Bürger haben sollte, fördert diese Fehlorientierung mit der Verschulung der Universität. Zum Beispiel durch die Einführung des Bologna-Prozesses, da dieser nur noch auf internationale Vergleichbarkeit der Abschlüsse, jüngere Absolventen und Wirtschaftlichkeit abzielt. Der Mensch wird instrumentalisiert, der Einzelne ersetzbar. Seelen- bzw. Charakterbildung liegt fälschlicherweise nicht im Fokus der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit. Dies führt aber letztlich dazu, dass das politische Bewusstsein der Bürger schwindet, da das Verständnis für Sinn und Zweck einer politischen Gemeinschaft fehlt. In Sloterdijks Jargon: Wenn auch einigen Individuen bewusst ist, dass sie sich in einem Immunitätsbündnis befinden, so ist doch nur wenigen die zugehörige Struktur evident. Dieses Verständnis ist jedoch eine notwendige Voraussetzung für das Funktionieren einer solchen Gemeinschaft, denn nur dadurch wird es den Mitgliedern möglich, den gemeinsamen Normen und Gesetzen zuzustimmen und die Einschränkung der eigenen Freiheit, zugunsten von Sicherheit und gemeinsamen Zielen, zu akzeptieren bzw. die gemeinsamen ko-immunitären Solidaritätseinheiten zu verinnerlichen. Nun wird bei einem Vergleich der Humboldtschen Universitätsidee mit Sloterdijks Haus des Wissens ein essentieller Unterschied auffällig: In Humboldts Konzeption kommt der Philosophie eine zentrale Stellung als Grundlagenwissenschaft zu. Bei Sloterdijk hingegen bildet die Artistik das studium generale. Er legt also den Schwerpunkt darauf, sich im Üben zu üben. Für Humboldt ist die Philosophie zentrale Wissenschaft, denn sie „umfasst das All des Wissbaren und des Seienden“34. Durch die Einführung in die Philosophie kann der Geist von einer einseitigen Bildung befreit werden, da sie sich mit der Grundlage allen Wissens beschäftigt: Der Möglichkeit von Erkenntnisgewinn. Erst wenn der Mensch dazu gebracht wird über seine eigene Existenz nachzudenken, sie zu deuten und zu verstehen, folglich in die Metaphysik eingewiesen wird, ist er in der Lage ethischen Forderungen 35 wahrhaftig nachzukommen.


V. Fazit

Sloterdijk predigt ein gemeinsames Abwehrsystem gegen die planetarische Bedrohung: Den Ko-Immunismus. „Eine solche Struktur heißt Zivilisation. Ihre Ordensregeln sind jetzt oder nie zu verfassen. (..) Unter ihnen leben zu wollen würde den Entschluss bedeuten: in täglichen Übungen die guten Gewohnheiten gemeinsamen Überlebens anzunehmen.“36 Nun kann ich diesem Entschluss nur gerecht werden, wenn ich eine Vorstellung davon habe, worin diese guten Gewohnheiten gemeinsamen Überlebens bestehen. Ohne Trainer ist das Prinzip des Sloterdijkschen Übens nicht durchzuführen. Der subversiven Energie, welche Übung für Sloterdijk beinhaltet, die richtige Richtung zu verleihen fällt in die Zuständigkeit eines anderen. Diesen Anderen wähle ich danach aus, inwieweit er mich beeindrucken und das Unwahrscheinliche als einfach nachahmbar darstellen kann. Ob die Übungen, in welche der Trainer meiner Wahl mich schließlich einführt, auch tatsächlich das gemeinsame Überleben fördern bzw. sicherstellen, kann ich nicht unbedingt überprüfen, da ich mich in Sloterdijks Haus des Wissens grundlegend mit der Ausführung der Übung, nicht mit dessen Inhalt beschäftigt habe. Autonomie hingegen, welche in Humboldts Bildungsprozess involviert ist, befähigt mich meine Handlungen auf ihre Tauglichkeit hinsichtlich dieses Zieles zu überprüfen, Philosophie wiederum erlaubt mir Kriterien hierfür aufzustellen. Entsprechend antwortet Schiller auf die Frage, wie ich der Welt, in der ich wirke, die Richtung zum Guten weisen kann: „Diese Richtung hast du ihr gegeben, wenn du, lehrend, ihre Gedanken erhebst, wenn du, handelnd oder bildend, das Notwendige und Ewige in einen Gegenstand ihrer Triebe verwandelst.“37
Das Hauptmerkmal von Ko-Immunitätsystemen ist, dass sie das Individuum „in den Dienst eines ethnischen oder multiethnischen, institutionell und intergenerationell erweiterten Selbstkonzeptes stellen.“38 Das Problem der aktuellen Weltlage besteht darin, dass die lokalen Kulturen durch Globalisierung miteinander zu einer „Weltgesellschaft“ vernetzt sind, für welche keine effiziente Ko-Immunitätsstruktur vorhanden ist. Ferner sind sowohl die solidaristischen, als auch die symbolischen Systeme der einzelnen Kulturen kaum noch bestimmbar. Das Erkennen und Formulieren dieser Systeme muss die Aufgabe einer jeden Nation sein, der Entwurf einer globalen Ko-Immunitätsstruktur wird schließlich zur Mission der ganzen Menschheit. Sloterdijk bezeichnet die theoretische Auseinandersetzung mit der Erreichung dieses Endzwecks als Allgemeine Immunologie. Diese verlangt vom Einzelnen „über sämtliche bisherigen Unterscheidungen von Eigenem und Fremden hinauszugehen“39 Was sie der Metaphysik damit voraus hat, stellt er nicht einsichtig dar, weswegen seine Behauptung die Allgemeine Immunologie sei „die legitime Nachfolgerin der Metaphysik“40 nicht plausibel erscheint. Der Sloterdijksche Terminus des solidaristischen Immunsystems ist in seiner Funktion kongruent zum Begriff der praktischen Vernunft des Idealismus. Sloterdijks Forderungen und die zu Grunde liegenden Ansichten kommen den Zielen des deutschen Idealismus gleich, auch wenn er andere Bezeichnungen innerhalb seiner Theorie verwendet, seine Methoden sind allerdings verschieden. Dem deutschen Idealismus, der in Humboldts Bildungskonzeption verwirklicht wird, liegen Freiheit und Autonomie zugrunde. Diese sind verbunden mit Verantwortung. Aus den dargestellten Gründen stimme ich dieser Position zu und lehne Sloterdijks Trainerfigur und die Zentralisierung der Artistik ab. Diese zeigen bloß, dass er der Mehrheit der Menschen weder zutraut den Imperativ zu vernehmen, noch ihn wirksam umzusetzen. Der absolute Imperativ appelliert an jeden Menschen, Sloterdijk aber wendet sich mit seinem elitären Schreibstil eindeutig nicht an die Allgemeinheit. Dabei spricht nichts dagegen, dass ein Durchschnittsbürger den absoluten Imperativ vernimmt. Damit er ihn auch verstehen und umsetzen kann, muss ihm allerdings die Möglichkeit gegeben sein sich zu bilden. Die Tatsache, dass es bereits eine Reformation im Humboldtschen Sinne gab und diese letztendlich gescheitert ist, spricht nicht gegen die Wahrheit humanitärer Ideen41. Sie sind dennoch anzustreben. Weil die globale Katastrophe, wie Sloterdijk richtig erkennt, sonst unausweichlich ist. Philosophie bringt den Einzelnen zu dieser Erkenntnis und begleitet ihn in seinem Streben dem absoluten Imperativ nachzukommen. Sie darf daher den Anspruch erheben, der Hauptgegenstand der mentalen Tätigkeit eines jeden Akademikers zu sein und idealerweise auch aller anderen Menschen. Eine staatliche Gemeinschaft sollte sich in diesem Sinne als eine Bildungs- und Kulturnation definieren. Kommen dem alle lokalen Kulturen nach, so werden sie in der Lage sein sich in „eine operationsfähige Einheit höchster Ordnung“42 zu integrieren.

VI. Literaturverzeichnis:
Camus, Albert: Weder Opfer noch Henker, Über eine neue Weltordnung, Zürich, 1996
Friedrich Nietzsche: "Was den Deutschen abgeht." In: Götzendämmerung. Stuttgart, 1990
Hübner, Ulrich: Wilhelm von Humbuoldt und die Bildungspolitik, München, 1983
Humboldt, Wilhelm von: Bildung und Sprache, Hrsg. Von Clemens Menze, Paderborn, 1965
Menze, Clemens: Wilhelm von Humboldts Lehre und Bild vom Menschen, Ratingen, 1965
Schiller, Friedrich: Über die ästhetische Erziehung des Menschen, Stuttgart, 1977
Sloterdijk, Peter: Du musst dein leben ändern, Über Anthropotechniken, Frankfurt am Main, 2009

Anmerkungen
1 Sloterdijk, S.699
2 Sloterdijk, S.702
3 Sloterdijk, S.13
4 Sloterdijk, S.711
5 Sloterdijk, S.14
6 Der absolute Imperativ wirkt auf das geistige Immunsystem des Menschen, nach meinem Verständnis, wie ein Motiv auf den Willen in Schopenhauers Theorie ''Über die Freiheit des menschlichen Willens''.
7 Sloterdijk, S.306
8 Sloterdijk, S.206
9 Sloterdijk, S.14
10 Sloterdijk, S.47
11 Sloterdijk, S.589
12 Sloterdijk, S.430
13 s.o.
14 Jede lokale Kultur für sich betrachtet.
15 "Nächsten'' gemeint als meine Nachkommen, sowie als die Menschen, die mir in meiner Person nahestehen.
16 Camus, S.47
17 Sloterdijk, S.247
18 Sloterdijk, S.248-249
19 Sloterdijk S.313, Z.7-11: „Natürlich bedeutet Schulbetrieb immer auch Exoterik und Vorbereitung auf Ämter. Im heißen Kern der Lehre steht aber die Hinführung der Adepten zu der senkrechten Wand, an der sie den Aufstieg zum Unmöglichen versuchen sollen.“
20 Das Motto lautet: Üben!
21 Sloterdijk, S.247
22 Die besagte Fehlorientierung wird an einer anderen Stelle, von Nietzsche sehr treffend beschrieben: „(..) überall herrscht eine unanständige Hast, wie als ob Etwas versäumt wäre, wenn der junge Mann Mit 23 Jahren noch nicht "fertig" ist, noch nicht Antwort weiss auf die "Hauptfrage": welchen Beruf? - Eine höhere Art Mensch, mit Verlaub gesagt, liebt nicht "Berufe", genau deshalb, weil sie sich berufen weiss ... Sie hat Zeit, sie nimmt sich Zeit, sie denkt gar nicht daran, "fertig" zu werden, - mit dreissig Jahren ist man, im Sinne hoher Cultur, ein Anfänger, ein Kind. - Unsre überfüllten Gymnasien, unsre überhäuften, stupid gemachten Gymnasiallehrer sind ein Skandal: um diese Zustände in Schutz zu nehmen,(..) dazu hat man vielleicht Ursachen, - Gründe dafür giebt es nicht.“ (Nietzsche, Götzen Dämmerung, 5. Abschnitt)
23 Sloterdijk, S.247
24 Vgl. Ciceros Begriff der cultura animi (Kultivierung des inneren Menschen)
25 im Sinne Kants
26 Humboldt, S.102
27 Humboldt, S.101
28 Humboldt, S.103
29 Humboldt zufolge steht die Einheit von Forschung und Lehre methodisch im Mittelpunkt der Akademie.
30 Als entscheidendes Medium für diesen Bildungsprozess wird die Sprache begriffen, denn Bildung als subjektiver Prozess der andauernden Welterweiterung ist nach Humboldt nicht nur mit der Sprache verknüpft, sondern geht aus ihr hervor. Jedes Wort einer Sprache bezeichnet nicht nur einen Gegenstand, sondern beinhaltet zugleich die Sicht der jeweiligen Kultur auf diesen. (Vgl. Wilhelm von Humboldt, Bildung und Sprache)
31 Als entscheidendes Medium für diesen Bildungsprozess wird die Sprache begriffen, denn Bildung als subjektiver Prozess der andauernden Welterweiterung ist nach Humboldt nicht nur mit der Sprache verknüpft, sondern geht aus ihr hervor. Jedes Wort einer Sprache bezeichnet nicht nur einen Gegenstand, sondern beinhaltet zugleich die Sicht der jeweiligen Kultur auf diesen. (Vgl. Wilhelm von Humboldt, Bildung und Sprache)
32 Menze, S.257
33 Humboldt, S.32
34 Humboldt, S.109
35 Ich beziehe mich hier auf den absoluten Imperativ.
36 Sloterdijk, S. 711
37 Schiller, S. 35
38 Sloterdijk, S. 710
39 Sloterdijk, S. 713
40 Sloterdijk, S. 712
41 Sloterdijk selbst schreibt: „Man mißversteht die Natur des Problematischen, wenn man als solches nur gelten lässt, was Aussicht darauf hat, in der laufenden Legislaturperiode bewältigt zu werden.“ (Sloterdijk, S.705)
42 Sloterdijk, S. 712

Mittwoch, 26. Januar 2011

APRIL 2011

FÜR BACHELOR-STUDIERENDE
FÜR LEHRAMTS-STUDIERENDE BIS ZUR ZWISCHENPRÜFUNG
(4 ECTS-Credits)
Titel: Methoden Philosophischer Praxis / Philosophical Practitioners – some of the methods they use or advocate
[kompakt : 4. - 9.4.2011] [24] [V.M.Roth]
Textbuch ist das gleichnamige Handbuch, das Detlef Staude 2010 herausgegeben hat. Ein Exemplar befindet sich im Semesterapparat.
Frühzeitige Anmeldung erwünscht: mike.roth@uni-konstanz.de
Beiträge im Handbuch u.a. von Schiffer (1 Einführung / PhiloPraxis Zürich), Staude (2 historische Entwicklung und heutiger Stand; philosophische Gesprächsgruppen – Café philo – Sokratisches Gespräch/ Bern), Lindseth (dialogische Beratung / Norwegen – Schweden -München), Bernasconi (4 Paarberatung&Trauung / Denkpraxis Basel), Huber (5 Biografie / Gesundheit & Bildung, Inst. Rosenheim), Fintz (6 PhiloPraxis als Lebensform; Philosophin in der Wirtschaft / Institut für sinnorientierte Beratung Radolfzell – Praktikum möglich). Das Kompaktseminar beginnt am 4.4. um 9 Uhr. Für Samstag, den 9.4. , ist eine Diskussion mit dem Koordinator des netzwerks philopraxis.ch und weiteren AutorInnen des von Detlef Staude herausgegebenen Handbuchs geplant.
Hausarbeit möglich
BA: P
LA alt: P
LA neu: P, E