Montag, 3. September 2012










 Mütter , Kinder / PHILOSOPHIEren
Mütter zum Philosophieren mit ihren Kindern
Christine – Anja  - Maria – Lydia im Gespräch

Dass Kinder mit Fragen es Erwachsenen nicht immer leicht machen, dazu ein erinnertes Beispiel. Ein Großvater geht in der Osterzeit mit seinem Enkel durch die Stadt. Sie kommen an ein Schaufenster, in dem ein stehender großer Osterhase mit einem Korb auf dem Rücken zu sehen ist, aus dem bunte Ostereier ragen. Daneben ein ausgestopftes Huhn. Sie blicken in unterschiedliche Richtungen. Der Enkel fragt den Großvater: „Wo kriegt denn der Osterhase die Eier her?“
Der Großvater zeigt (nach meiner Erinnerung) auf das Huhn. Der Enkel: „Und in welcher Sprache spricht der Hase mit den Hühnern?“

Ich werde damals etwa 4 Jahre alt gewesen sein. Vielleicht war mein Großvater baff, jedenfalls ist mir das Philosophieren bis heute nicht ausgetrieben worden. Wie halten es nun philosophierende Mütter mit ihren Kindern? Bei einem Treffen in der Schweizerischen Dokumentationsstelle für Kinder- und Alltagsphilosophie
s´Käuzli im August 2012 gab es eine angeregte Diskussion, moderiert von Eva Zoller Morf ausgehend von einem input durch Christine Mok-Wendt,  an KANT:
„Wir wollen also vorerst das Prüfungsmerkmal der reinen Tugend an einem Beispiel zeigen, und indem wir uns vorstellen, daß es etwa einem zehnjährigen Knaben unter Beurteilung vorgelegt worden, sehen, ob er auch von selber, ohne durch den Lehrer dazu angewiesen zu sein, notwendig so urteilen müßte.“ (KPV, A277/278)
und SCHILLER anknüpfend:
„Doch ist schon die bloße Übung des Verstandes ein Hauptmoment bei dem Jugendunterricht, und im Denken selbst liegt in den meisten Fällen mehr als an dem Gedanken.“ ( Schiller aus Freese, S.145   ;     vgl. auch feigenblaetter.blogspot.com: Nachhaltig Philo­sophieren)

Der Herausgeber:  Ihr seid alle philosophische Mütter: Bitte stellt den Lesern kurz Eure Kinder vor !

Philosophiert Ihr mit Euren Kindern?

Lydia: Dies hier ist Hannah und sie ist heute 4 Monate alt. Um zu philosophieren ist sie also noch zu jung, es fehlt ihr die Sprache. Aber frage mich als Philosophin und Mutter: haben wir nicht eine besondere Verantwortung? Da wir um unseren Einfluss auf die geistige und soziale Entwicklung unseres Kindes wissen? Da wir unsere Verantwortung begreifen? Wie seht Ihr das, Eure Kinder sind ja schon älter.

Maria: Mein Bub ist erst 2 Jahre. Er beginnt gerade erst so richtig zu quatschen. „Philosophieren“ kann ich daher noch nicht mit ihm. Auf Deine Frage möchte ich antworten, dass ich als Mutter und Philosophin daran glaube, dass ich die Entwicklung meines Kindes bestmöglich beeinflussen kann, in dem ich mich selbst beobachte und auf mein Verhalten achte, an mir arbeite. Ich bin meinem Kind ein Vorbild. Gerade zurzeit merke ich das sehr deutlich: Noa wiederholt jedes Wort, das ich sage und versucht es zu verstehen. So detailliert habe ich mich mein Leben lang noch nicht geprüft.

Christine: Wenn ich hier Zitate von Philosophen („big P“ nach Jackson) hereinbringe als kognitive Anregungen, wie
ARISTOTELES, Nikomachische Ethik: „Es kommt also nicht wenig darauf an, ob man schon von Kindheit an so oder so gewöhnt wird; es hängt viel davon ab, ja sogar alles.“ - Bezug auf PLATON: „Daher müssen wir, wie Platon sagt, sofort von klein auf in bestimmter Weise erzogen werden, ...“
dann .... überlege ich mir im Nachhinein, ob ich in der Erziehung meiner Tochter (sie hat gerade ihr Abitur gemacht und wird in ein paar Wochen 18) alles richtig gemacht habe. Durch meine intensive Auseinandersetzung mit den Themen Habitus und dem PMK, die ich in meiner BA-Arbeit versucht habe miteinander zu verknüpfen, stellte ich mir die Frage immer öfter. Das 'Ob' mit ja zu beantworten, wäre völlig vermessen, denn natürlich habe ich auch viele Fehler gemacht, aber eines habe ich glaube ich geschafft, sie durfte  in vielen Bereichen (Sport, Musik)  ihre eigenen Erfahrungen machen, und in diesem Sinn verstehe ich Aristoteles und Platons Erziehungsbegriff.
Anja: Ich bezweifle sehr, dass Kinder „Erziehung“ brauchen, um gesund und glücklich groß zu werden und ihren Platz in der Welt einzunehmen. Mit „Erziehung“ meine ich jetzt „irgendwohin leiten“, „an unsere Gesellschaft anpassen“ und „lenken“. Denn das würde heißen, dass eine gesunde Entwicklung nicht so oder so schon in uns Menschen angelegt ist. Um groß und stark zu werden bedarf es „nur“ einer tragfähigen primären Bindung und vertrauenswürdigen Bezugspersonen. Das heißt für mich nicht, dass diese nicht auch „nein“ sagen können, wenn es gefährlich für das Kind oder sein Umfeld oder ähnliches wird.
Lydia:  Dein Kind muss aber doch in unserer Gesellschaft leben, da muss es doch auch an sie angepasst werden! -um sich hier Orientieren zu können. Aber als Philosophin kannst du diese objektive Bestimmtheit deinem Kind vielleicht offenlegen. Ihm die Möglichkeit in die Hand legen, die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen es lebt, zu hinterfragen und zu kritisieren. Subjektive Bestimmung hinzufügen, indem du es autonom erziehst. Es also dahin leitest ein eigenständiger, selbstbestimmter Mensch zu werden. Die Frage bleibt, ob das dann noch „Erziehung“ ist, wie wir sie hier diskutieren?

Ich möchte außerdem kurz von einer Situation erzählen, die mir sehr Eindrücklich war: Als ich mit meiner Familie in einem Restaurant war, stieß mein kleiner Bruder (10 Jahre) ein volles Glas um. Wir alle lachten nur, es war nicht weiter schlimm. Sein Vater aber streichelte ihm über den Rücken und sagte ihm, dass das überhaupt kein Problem sei und er sich nicht dafür schämen musste. Denn das hatte er getan. Mir war das gar nicht so aufgefallen, doch in dem Moment fand ich diese Reaktion des ''Erziehungsberechtigten'' tief beeindruckend. So etwas passiert. Steh darüber wenn die Leute gucken, du hast nichts falsches getan. - Wieviel Schaden hätte es anrichten können, wenn ihn statt dessen eine Bezugsperson angekeift hätte, er solle besser aufpassen und sich benehmen?


Christine: [Und zum Thema: „Fehler machen“, finde ich, auch  Eltern dürfen  Fehler machen, auch mal ungerecht sein, wichtig ist, dass man auch darüber offen und ehrlich mit seinen Kindern den Dialog sucht, das heißt, in einer erklärenden Entschuldigung den Fehler eingesteht, dann können beide Seiten davon profitieren ...

Stimme in der Diskussion: man muss authentisch sein,das entspricht genau dem Ehrlich-miteinander -umgehen

Anja: Authentisch sein ist manchmal verdammt schwierig! Vor allem auch dann, wenn ich selbst viel Fachwissen über Erziehung im Kopf habe und diverse pädagogische Methoden, etc. z.B. aus meiner Arbeit kenne.
Ich habe selbst vier Kinder, drei Mädels und einen Jungen. Die großen beiden sind schon 18 und 15, die beiden kleinen 3 und knapp 1. Bei den größeren hatte ich viel genauere Vorstellungen, wie ich sie „erziehen“ möchte. Ich meinte zu wissen, wann es gut für ein Kind ist im Bett zu sein, dass eine bestimmte Form von Bildung wichtig sei und wollte auf gar keinen Fall eine überfürsorgliche Mama und Hausfrau vorleben. Meine Kinder sollten sehen, was ich alles nebenher auf die Reihe brachte – Job, Studium, Kinder „erziehen“.
Ich denke mir heute, dass Kinder wirklich „nur“ diese tragfähige (Vermittlungs-)Beziehung bzw. Bindung benötigen, die ja aber auch schon von der Zeugung weg da ist! (wenn nicht gerade ganz viel verkehrt läuft)
Ein Kind lernt ja auch von selbst laufen, dazu benötigt es keinen extra Laufwagen z.B.. Das ist schon in ihm angelegt.

Lydia: Schon Kleinkinder haben einen eigenen Willen und den sollte man achten!

Maria: An der Pädagogischen Hochschule des Thurgau in der Nachbarstadt von Konstanz, Kreuzlingen, kann ich ja das, was Eva Zoller mit dem Unterrichtsfach Kinderphilosophie begonnen hat, fortsetzen. Ich erziehe Erziehende , die sich an der Hochschule auf  die Berufstätigkeit in  Schulen vorbereiten. Daneben mache ich Weiterbildungsveranstaltungen für VolksschullehrerInnen  in Vorarlberg zum Thema: Philosophieren mit Kindern (PMK). Und ich praktiziere natürlich auch selbst  PMK in den Klassen, um den Lehrpersonen diese Methode erlebbar zu machen. Doch ich trenne das und  die Erziehung meines Sohnes ...

Christine: „Ich trenne PMK und die Erziehung meines Sohnes“ ist für mich eine sehr überraschende Aussage!

Maria: Ich habe das gesagt, weil die Situation eine andere ist, ob ich eine Gruppe von Kindern vor mir habe oder mein eigenes Kind. Bei meinem Sohn ist die Vorbildwirkung, wie oben erwähnt, viel stärker. Bei der Schulklasse arbeite ich auch viel mit Gruppendynamik. Eine Voraus-setzung für PMK ist nämlich der „intellectually safe place“, ein Ort, an dem ich gerne jeden Gedanken frei äußere und dieser von allen wohlwollend aufgenommen wird. Wobei … Vermutlich lebe ich PMK auch mit meinem Sohn, denn für mich ist es selbstverständlich, dass dieser Raum auch zuhause gegeben ist.

Christine: Lydia möchte ich sagen: bau  Dir nicht zuviel Druck auf: auch als Philosophin bist du im Zweifelsfall 'nur' Mutter, die eben auch nicht perfekt sein kann und muss!

Lydia: Danke dir. Aber ich habe auch nicht den Anspruch eine perfekte Mutter zu sein. Was ich meinte ist: Als Philosophen beschäftigen wir uns alle mit dem Geist des Menschen, seiner Natur, Entstehung und Begründung von Moral uvm. Und das alles bringt einen doch nun als Mutter in eine Position in der man große Macht über ein anderes Lebewesen hat, um diese weiß und sie hinterfragt. Ich meine wir haben doch (mit) den größten Einfluss darauf, wie ein Mensch wird. Wie er in dieser Welt wirkt. So will ich natürlich, dass Hannah moralisch verantwortungsbewusst handelt. Dass sie andere Menschen in ihrer Eigenwürde achtet, dass sie couragiert ist und so weiter. Ich will aber auch ihre Freiheit achten. Ich will sie nicht formen - und damit komme ich dann wohl deinem Begriff der Erziehung nah, Anja? -
Ich frage mich: (wie) kann ich Hannah unterstützen, kritisieren und dabei helfen ein glücklicher Mensch zu werden ohne in diese Form Erziehung zu geraten? Die Antwort lautet wohl: Philosophie als Methode!

Anja: Mit den Kindern philosophier´ ich am allerliebsten. Für Fragen, wo ich schon lange grüble und mir selbst der Kopf schon raucht, kommt zum Beispiel eine so einfache und doch so treffsichere Antwort, dass ich ganz baff bin.
Als ich an meiner Diplomarbeit* dran war und schon eine Weile grübelte, woran es liegen könnte, dass der Tod in der patriarchalen Philosophie einen viel höheren Stellenwert als die Geburt einnimmt, fragte ich meine Tochter (damals 15): „Was denkst du ist mächtiger: Leben nehmen oder Leben geben?“ Ich hatte keine Antwort darauf. – Sie: „Ist doch logo. Leben nehmen kann im Prinzip jeder. Leben geben nicht.“
Ronja (3) beschäftigt sich auch schon mit der Größe des Himmels. Es ist noch ganz einfach: Der Himmel reicht von links vom Ende der Berge nach rechts zum Ende der Berge. - Gleichwürdigkeit im Gespräch mit Kindern finde ich sehr wichtig.
Maria: Die Gleichwürdigkeit sollte aber nicht nur zuhause, sondern auch in der Schule gegeben sein. Ich finde das kurze Video zu Amber Makaiau´s Arbeit http://www.p4chawaii.org/teaching-tolerance-award ein sehr schönes Beispiel, welche Wirkung das regelmäßige Philosophieren in einer Schulklasse haben kann.

Und zum Aspekt „civilbeat“
http://www.civilbeat.com/articles/2012/04/14/15546-philosophy-for-children-promoting-peace-in-the-classroom/
Herausgeber: Das gemeinsame Philosophieren ist ein Gemeinschaftserlebnis  - und die „Werkzeugkiste“ (toolkit)** bietet Alternativen zur „Lösung“ von „Streitfragen“ durch Gewalt ?

Euch und Euren Kindern weiterhin: Viel Glück !


HINWEISE zum Philosophieren mit Kids (Kindern / Jugendlichen)
EPIKUR „Früh hatte E. zu philosophieren angefangen. Schon mit 13 Jahren fragte der scharfsinnige Knabe seinen Lehrer, als dieser ihm Hesiods Kosmogonie aus dem Chaos erläuterte: und wo kam das Chaos her ?“  (Kreibig S. 10)

Thomas Jackson http://streaming.uni-konstanz.de/talks-events/why-do-children-teachers-and-parents-love-to-do-philosophy/
Christine Mok-Wendt, Wozu Philosophieren mit Kindern? BA-Arbeit Philosophie, Universität Konstanz 2011
Leonard Nelson,
*Anja Ritter, Geburt und Natalität. Eine philosophische Betrachtung. Magisterarbeit. Institut für Philosophie, Universität Innsbruck 2011 (, worauf sich das Gespräch mit der Tochter bezieht)
**Siehe auch: Mike Roths Besprechung von IST PHILOSOPHIEREN MIT KINDERN PHILOSOPHIE? http://www.philopraxis.ch/wcms/ftp//p/philopraxis.ch/uploads/philopaidia.pdf Von Maria Eitzinger (Rüdisser) VDM Verlag Dr. Müller, Saarbrücken 2008, ISBN: 978-3-639-01350-4

Neils mail aus Berlin: ... ich hatte eine positive Erfahrung mit 2 Kindern im Park letze Woche. Jemand hat einen Apfelbaum gepflanzt mit der Notiz "Ich bin neu hier. Wenn ich überleben soll, brauche ich Wasser" . Weil es heiss war, habe ich einige Mal die Gießkanne geholt. DAS GEFÄLLT MIR Ein Bub -vielleicht 3 Jahre alt- kam,  stand neben mir und fragte, was ich da mache.  Ich erklärte, dass das ein Baum ist und er braucht Wasser. Ich las vor, was da geschrieben war, dass der Baum "neu hier ist". Das hat er gut verstanden. Er war ja auch neu hier. AHA Da kam ein Mädchen. Wir unterhielten uns und ich habe mich gefreut. ( Interessant war: der Schreiber wusste, wie wichtig der Satz "ich bin neu hier"  war - um Sympathie zu erwecken in diesen Kindern. )

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