Liebe alle
nach dem Video von Ran mit Detlef www.philopractice.org
hier nun das Interview von Willi mit
Mike Roth und Christine Mok-Wendt:
http://www.philopractice.org/mike-roth-und-christine-mok-wendt
Liebe Grüsse Detlef Staude
Gemeinsam Philosophieren
Interviewer Willi Fillinger, Philosophische Praxis kopfvoran in Zürich
Hallo Christine! Hallo Mike!
gemeinsam: Hallo Willi!
Willi: Ihr führt zusammen eine philosophische Praxis, ihr
nennt sie >SinnPraxis<, - in Konstanz. Wie geht das? Wie arbeitet
ihr zusammen? Christine: Also, ich denke, das ist eine gute Ergänzung, da
wir keinen "cut" zwischen philosophischer Praxis und der Universität
machen und wir beide in unterschiedlichen Positionen an der Universität tätig
sind, ich als Doktorandin, Mike als Dozent - ergänzen wir uns, indem ich noch
näher an den studierenden bin, Mike mehr an der universitären Philosophie und
wir das auch in unsere philosophische Praxis nehmen.
Mike: Ja, >universitäre Philosophie< - : die Themen,
die uns beschäftigen, sind relevant für philosophische Praxis. Und als
Beispiel: Christine hat sich gründlich mit dem Begriff NATUR
auseinandergesetzt in ihrer Magisterarbeit - im Zusammenhang: einen
Ausgangspunkt zu finden fürs Philosophieren mit Kids! Sie hat eine ganz
anspruchsvolle Perspektive: es geht um nicht weniger als DIE WELT ZU RETTEN,
unsere Welt, in der es möglich bleiben soll, dass philosophierende Menschen
leben können (Hans Jonas). Wenn wir nämlich so weitermachen, wie wir es gerade
tun, wird das nicht mehr lange möglich sein. Willi: UND das macht ihr
hauptsächlich innerhalb der Universität - oder: ihr macht auch ein
Angebot gegen Außen ... Christine:
Also, meine schriftliche Arbeit muss ich natürlich für die
Universität verfassen. Aber es ist so, dass wir (in der SinnPraxis) einen
Literaturkreis haben, in dem wir (philosophische) Texte lesen, In dem Kreis
haben wir auch die Möglichkeit unsere Arbeit vorzustellen. Es ist sehr hilfreich,
wenn man/frau (als Gesprächspartner) Leute hat, die nicht unbedingt auch
Philosophen sind, sondern ein anderes Verständnis haben. Gerade wenn es gilt
ein Thema zu transportieren, das alle angeht. Und ich denke, die WELT ZU
RETTEN, also dafür zu sorgen, dass menschenwürdiges Leben auch weiterhin auf
unserer Erde möglich ist, - ich denke das ist ein Thema, das alle angehen
soll. Mike: Na, und etwas
bescheidener: es gab ja immer mal Versuche, WELT zu retten. Ein Versuch ist mit
einem gewichtigen Namen verbunden: Martin Heidegger, der "den Führer
(Hitler) führen" wollte. Von Heidegger sind in diesem Jahr 2014 gerade die
ersten Veröffentlichungen seiner "Schwarzen Hefte" erschienen, aus
den 30er Jahren, fortgeführt bis in die 70er. Das war seine Geheimphilosophie.
Wir sind jetzt in der Lage, da hineinzuschauen. Es ist erst in diesem Jahr
möglich, das zu tun. Ich habe gerade ein Kompaktseminar an der Universität
angeboten gehabt und wir haben die Möglichkeit über dieses Thema im Café Philo
in Bern zu sprechen. Ich bin sehr gespannt auf die Diskussion. Willi: Philosophische Praxis ist ja oft auch
philosophical counselling - wie kann man das absetzen von Therapie,
Psychotherapie? Wie machst Du das denn, Mike? Oder: wie macht ihr das? Mike: Beratung habe ich bisher allein gemacht -
und in einem ganz speziellen Bereich. (Man kann von der Philosophie oft nicht
leben.) Ich war 30 Jahre in einer Reha-Klinik beschäftigt: als Sprachphilosoph
in der Sprachtherapie. Von daher hatte ich auch Kontakt zur Selbsthilfebewegung.
Im Selbsthilfeverband habe ich
Familienseminare angeregt:
Sprachstörungen nach Schlaganfall haben Auswirkung auf die mitbetroffene
Lebensgemeinschaft. Auf einem solchen Seminar biete ich als philosophischer
Praktiker Gespräche an. Es kommt ein Mensch und sagt: "Ich hab das
Problem, ... " Und dann ging es weiter: "Ich brauche nicht viel
Zeit". Es stellte sich dann sehr bald heraus, dass etwas ihn tief bewegte.
Er weinte. Jemandem, der einer entsprechenden Psychotherapieform anhängt,
wäre es wohl leicht gefallen, uns eintretend in eine "systemische
Beratung" zu sehen. Das endete damit, dass ich gesagt habe: "... Das
geht nicht so schnell! Aber da gibt´s ein schönes Buch, das lässt sich auch gut
lesen: Yalom, Schopenhauer Kur" Willi:
Kann man mit Schopenhauer therapieren? Mike:
JA! Schopenhauer war unter den großen, bekannten Philosophen deutscher Sprache
vielleicht der erste, dessen Texte eine der philosophischen Praxis
entsprechende Wirkung gehabt haben.
Willi: Erzähl jetzt noch, wie das ging in Deinem
Beispiel! Mike: In meinem Beispiel war es so: Oskar war
jemand, der Yalom-Texte zuhause hatte.
Er hat sich dann diesen Text noch besorgt. Er wusste ja schon: das ist ein
guter Autor, den kann man gut lesen. Und bald fing er an, seine Problematik - das war eine Paarproblematik, die hatte auch
mit Eigentum zu tun - zu assoziieren zu Stellen im Text, die er mir
mailte: es fiel ihm zu den Textstellen etwas ein aus seinem Leben. Und
schließlich bekam ich nun die Nachricht: sein Problem hat er gelöst mithilfe des
Verfassens dieser emails und dem
kontinuierlichen Lesen in einem stark philosophischen Buch. Geschrieben von
einem Nicht-Philosophen. Der Autor Yalom ist ja Psychiater. Auch da mache ich
keinen clear cut zwischen „existentieller Psychotherapie“
und philosophischer Praxis. Das nicht zu tun scheint mir hier sinnvoll. Willi:
Das wäre ein Beispiel
von Bibliotherapie, Du nennst es ja auch so. Mike: Ja
(Yalom macht den Hinweis in der Danksagung:
“Die Idee einer Bibliotherapie – sich durch die Lektüre philosophischer Werke
selbst zu heilen – entstammt Bryan Magees ausgezeichnetem Buch Bekenntnisse eines Philosophen (Berlin
1998).“ Willi: Kann man das verallgemeinern? Erläutere
noch Dein Verständnis – erläutert euer Beider Verständnis von Philosophischer
Praxis! Christine: Ich habe dieses Schopenhauer
Bibliotherapie Beispiel mitverfolgen können, weil ich den email-Austausch lesen
durfte und fand das interessant, weil wir Schopenhauer und Yalom schon als
Thema einer philosophischen Gedankenreise in Istrien hatten und dort in der
Gruppe auch schon merkten, wie wertvoll das ist, sich mit Schopenhauer zu
befassen – und parallel dazu mit dem Buch von Yalom. Dort geht es darum, dass
einer, der ein Problem mit sich hat, bei einem Psychotherapeuten nicht
weiterkommt, dann Philosophie studiert, sich damit selber hilft (Schopenhauer)
und dann zum philosophischen Berater werden will, damit er dies weitergeben
kann. Wir nehmen ein Seminar an der Uni als Anlass und transportieren
Kerngedanken dann in die (Sinn)Praxis. Bei dieser Gedankenreise in Istrien hat
man gemerkt, wie Teilnehmende praktisch anfangen sich mit Gedanken zu befassen.
Obwohl wir am Tag nur 2 bis 3 gemeinsame
„Arbeitsstunden“ angesetzt hatten, war zu merken, dass es auch in der „Freizeit“
weitergeht mit dem Philosophieren. Deshalb denke ich: es ist wichtig sich Werke
zum Anlass zu nehmen, sich Philosophie näher anzusehen und sie in die Lebenswelt
zu transportieren. In unsere Welt in der
heutigen Zeit. Mike: Danke Christine! Du hast ein Gegenstück zu
der psychotherapeutischen Gruppentherapie, die bei Yalom ja den Rahmen bildet,
jetzt im Rahmen philosophischer Praxis umrissen. Als philosophischer Praktiker
war ich vielleicht nur 4 Stunden täglich
zusammen mit den Teilnehmern, während manche Teilnehmer bis spät in die Nacht
miteinander geredet haben. Und es gab insbesondere 1 Paar, das in einer
gewissen Spannungssituation gekommen ist und dann eben während dieses
Aufenthaltes sichtlich profitierte von dieser verständnisvollen Stimmung. Wir
waren übrigens etwa 1 Dutzend. Das scheint mir eine gute Größe zu sein. Willi: Christine, zu Deinem Verständnis von philosophischer Praxis
gehört auch Kinderphilosophie. Offenbar aus eigener Erfahrung - Christine: Ja,
deshalb, weil ich mich im Studium befasst habe mit dem Philosophieren mit
Kindern und auch deshalb, weil ich eine Tochter habe, die mittlerweile 20 ist.
Im Nachhinein habe ich mich gefragt: habe ich sie im Sinne der Philosophie
erzogen? Habe ich mich dabei gleichzeitig selbst erzogen? Ich habe dann zum
Beispiel Fragen zurückgegeben, wie man das im Kinderphilosophieren macht (Eva
Zoller). Ich beantworte nicht die Kinderfrage, sondern gebe sie zurück: „Was
meinst Du denn dazu?“ Ich glaube, dass es wichtig ist, Kindern gegenüber als
Erwachsene nicht einfach etwas zu behaupten. Mike: Damit
bist Du in der Sokratischen Tradition, die in diesem aktuellen Buch Deines
Zürcher Betreuers der Doktorarbeit, Michael Hampe, ganz wunderbar behandelt
wird. Titel: Die Lehren der Philosophie.
Eine Kritik (2014)
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