Sonntag, 23. November 2014

GEMEINSAM Philosophieren


Liebe alle

nach dem Video von Ran mit Detlef www.philopractice.org
hier nun das Interview von Willi mit 
Mike Roth und Christine Mok-Wendt:
http://www.philopractice.org/mike-roth-und-christine-mok-wendt
Liebe Grüsse                      Detlef Staude


  
Gemeinsam Philosophieren
Interviewer Willi Fillinger, Philosophische Praxis kopfvoran in Zürich

Hallo Christine! Hallo Mike!

gemeinsam: Hallo Willi!


Willi:  Ihr führt zusammen eine philosophische Praxis, ihr nennt sie >SinnPraxis<, - in Konstanz. Wie geht das? Wie arbeitet ihr zusammen? Christine:  Also, ich denke, das ist eine gute Ergänzung, da wir keinen "cut" zwischen philosophischer Praxis und der Universität machen und wir beide in unterschiedlichen Positionen an der Universität tätig sind, ich als Doktorandin, Mike als Dozent - ergänzen wir uns, indem ich noch näher an den studierenden bin, Mike mehr an der universitären Philosophie und wir das auch in unsere philosophische Praxis nehmen. Mike:  Ja, >universitäre Philosophie< - : die Themen, die uns beschäftigen, sind relevant  für philosophische Praxis. Und als Beispiel: Christine hat sich gründlich mit dem Begriff NATUR auseinandergesetzt in ihrer Magisterarbeit - im Zusammenhang: einen Ausgangspunkt zu finden fürs Philosophieren mit Kids! Sie hat eine ganz anspruchsvolle Perspektive: es geht um nicht weniger als DIE WELT ZU RETTEN, unsere Welt, in der es möglich bleiben soll, dass philosophierende Menschen leben können (Hans Jonas). Wenn wir nämlich so weitermachen, wie wir es gerade tun, wird das nicht mehr lange möglich sein. Willi: UND das macht ihr hauptsächlich innerhalb der Universität  - oder: ihr macht auch ein Angebot gegen Außen ... Christine:  Also, meine schriftliche Arbeit muss ich natürlich für die Universität verfassen. Aber es ist so, dass wir (in der SinnPraxis) einen Literaturkreis haben, in dem wir (philosophische) Texte lesen, In dem Kreis haben wir auch die Möglichkeit unsere Arbeit vorzustellen. Es ist sehr hilfreich, wenn man/frau (als Gesprächspartner) Leute hat, die nicht unbedingt auch Philosophen sind, sondern ein anderes Verständnis haben. Gerade wenn es gilt ein Thema zu transportieren, das alle angeht. Und ich denke, die WELT ZU RETTEN, also dafür zu sorgen, dass menschenwürdiges Leben auch weiterhin auf unserer Erde möglich ist, - ich denke das ist ein Thema, das alle angehen soll.  Mike:  Na, und etwas bescheidener: es gab ja immer mal Versuche, WELT zu retten. Ein Versuch ist mit einem gewichtigen Namen verbunden: Martin Heidegger, der "den Führer (Hitler) führen" wollte. Von Heidegger sind in diesem Jahr 2014 gerade die ersten Veröffentlichungen seiner "Schwarzen Hefte" erschienen, aus den 30er Jahren, fortgeführt bis in die 70er. Das war seine Geheimphilosophie. Wir sind jetzt in der Lage, da hineinzuschauen. Es ist erst in diesem Jahr möglich, das zu tun. Ich habe gerade ein Kompaktseminar an der Universität angeboten gehabt und wir haben die Möglichkeit über dieses Thema im Café Philo in Bern zu sprechen. Ich bin sehr gespannt auf die Diskussion. Willi: Philosophische Praxis ist ja oft auch philosophical counselling - wie kann man das absetzen von Therapie, Psychotherapie? Wie machst Du das denn, Mike? Oder: wie macht ihr das? Mike: Beratung habe ich bisher allein gemacht - und in einem ganz speziellen Bereich. (Man kann von der Philosophie oft nicht leben.) Ich war 30 Jahre in einer Reha-Klinik beschäftigt: als Sprachphilosoph in der Sprachtherapie. Von daher hatte ich auch Kontakt zur Selbsthilfebewegung. Im Selbsthilfeverband habe ich  Familienseminare angeregt:   Sprachstörungen nach Schlaganfall haben Auswirkung auf die mitbetroffene Lebensgemeinschaft. Auf einem solchen Seminar biete ich als philosophischer Praktiker Gespräche an. Es kommt ein Mensch und sagt: "Ich hab das Problem, ... " Und dann ging es weiter: "Ich brauche nicht viel Zeit". Es stellte sich dann sehr bald heraus, dass etwas ihn tief bewegte. Er weinte. Jemandem, der einer  entsprechenden Psychotherapieform anhängt, wäre es wohl leicht gefallen, uns eintretend in eine "systemische Beratung" zu sehen. Das endete damit, dass ich gesagt habe: "... Das geht nicht so schnell! Aber da gibt´s ein schönes Buch, das lässt sich auch gut lesen: Yalom, Schopenhauer Kur"   Willi: Kann man mit Schopenhauer therapieren? Mike: JA! Schopenhauer war unter den großen, bekannten Philosophen deutscher Sprache vielleicht der erste, dessen Texte eine der philosophischen Praxis entsprechende Wirkung gehabt haben.



Willi: Erzähl jetzt noch, wie das ging in Deinem Beispiel! Mike: In meinem Beispiel war es so: Oskar war jemand, der Yalom-Texte zuhause  hatte. Er hat sich dann diesen Text noch besorgt. Er wusste ja schon: das ist ein guter Autor, den kann man gut lesen. Und bald fing er an, seine Problematik  - das war eine Paarproblematik, die hatte auch mit Eigentum zu tun -   zu assoziieren zu Stellen im Text, die er mir mailte: es fiel ihm zu den Textstellen etwas ein aus seinem Leben. Und schließlich bekam ich nun die Nachricht: sein Problem hat er gelöst mithilfe des Verfassens dieser emails und dem kontinuierlichen Lesen in einem stark philosophischen Buch. Geschrieben von einem Nicht-Philosophen. Der Autor Yalom ist ja Psychiater. Auch da mache ich keinen clear cut  zwischen „existentieller Psychotherapie“ und philosophischer Praxis. Das nicht zu tun scheint mir hier sinnvoll. Willi:  Das wäre ein Beispiel von Bibliotherapie, Du nennst es ja auch so. Mike: Ja (Yalom macht den Hinweis in der Danksagung: “Die Idee einer Bibliotherapie – sich durch die Lektüre philosophischer Werke selbst zu heilen – entstammt Bryan Magees ausgezeichnetem Buch Bekenntnisse eines Philosophen (Berlin 1998).“ Willi: Kann man das verallgemeinern? Erläutere noch Dein Verständnis – erläutert euer Beider Verständnis von Philosophischer Praxis! Christine: Ich habe dieses Schopenhauer Bibliotherapie Beispiel mitverfolgen können, weil ich den email-Austausch lesen durfte und fand das interessant, weil wir Schopenhauer und Yalom schon als Thema einer philosophischen Gedankenreise in Istrien hatten und dort in der Gruppe auch schon merkten, wie wertvoll das ist, sich mit Schopenhauer zu befassen – und parallel dazu mit dem Buch von Yalom. Dort geht es darum, dass einer, der ein Problem mit sich hat, bei einem Psychotherapeuten nicht weiterkommt, dann Philosophie studiert, sich damit selber hilft (Schopenhauer) und dann zum philosophischen Berater werden will, damit er dies weitergeben kann. Wir nehmen ein Seminar an der Uni als Anlass und transportieren Kerngedanken dann in die (Sinn)Praxis. Bei dieser Gedankenreise in Istrien hat man gemerkt, wie Teilnehmende praktisch anfangen sich mit Gedanken zu befassen. Obwohl wir am Tag nur 2 bis 3  gemeinsame „Arbeitsstunden“ angesetzt hatten, war zu merken, dass es auch in der „Freizeit“ weitergeht mit dem Philosophieren. Deshalb denke ich: es ist wichtig sich Werke zum Anlass zu nehmen, sich Philosophie näher anzusehen und sie in die Lebenswelt zu transportieren. In  unsere Welt in der heutigen Zeit. Mike: Danke Christine! Du hast ein Gegenstück zu der psychotherapeutischen Gruppentherapie, die bei Yalom ja den Rahmen bildet, jetzt im Rahmen philosophischer Praxis umrissen. Als philosophischer Praktiker war ich vielleicht nur 4  Stunden täglich zusammen mit den Teilnehmern, während manche Teilnehmer bis spät in die Nacht miteinander geredet haben. Und es gab insbesondere 1 Paar, das in einer gewissen Spannungssituation gekommen ist und dann eben während dieses Aufenthaltes sichtlich profitierte von dieser verständnisvollen Stimmung. Wir waren übrigens etwa 1 Dutzend. Das scheint mir eine gute Größe zu sein. Willi: Christine, zu Deinem Verständnis von philosophischer Praxis gehört auch Kinderphilosophie. Offenbar aus eigener Erfahrung -  Christine: Ja, deshalb, weil ich mich im Studium befasst habe mit dem Philosophieren mit Kindern und auch deshalb, weil ich eine Tochter habe, die mittlerweile 20 ist. Im Nachhinein habe ich mich gefragt: habe ich sie im Sinne der Philosophie erzogen? Habe ich mich dabei gleichzeitig selbst erzogen? Ich habe dann zum Beispiel Fragen zurückgegeben, wie man das im Kinderphilosophieren macht (Eva Zoller). Ich beantworte nicht die Kinderfrage, sondern gebe sie zurück: „Was meinst Du denn dazu?“ Ich glaube, dass es wichtig ist, Kindern gegenüber als Erwachsene nicht einfach etwas zu behaupten. Mike: Damit bist Du in der Sokratischen Tradition, die in diesem aktuellen Buch Deines Zürcher Betreuers der Doktorarbeit, Michael Hampe, ganz wunderbar behandelt wird. Titel: Die Lehren der Philosophie. Eine Kritik (2014)
 

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