Mittwoch, 12. November 2014

midden

ZwitterFakt / Sammel"Fund"-ORT



Leben, das seinen Sinn nicht resultativ erhält?

Corresponding with downunder
Komme gerade vom Strandspaziergang, wo ich ein Aboriginal Midden
> > WAS IST DAS ?
> > angeschaut habe. Schöne Werkzeuge.
 
Midden: viele alte Muschelschalen auf dem Strand wo die Leute seit Jahrtausenden gesessen sind und gespeist haben. Dort haben sie  Muscheln und  Werkzeuge hinterlassen im Sand. Manchmal sind die Sanddünen  schon ganz gross geworden, kleine Hügel sind entstanden. Manchmal ist das nur eine Fläche mit sehr vielen weissen Muscheln und darunter bearbeitete Steine und Knochen, um das Essbare aus den Muscheln herauszubekommen oder Austern vom Felsen zu lösen.
Mensch ist versucht, dies ein „lebensnahes Resultat“, Lebensspur zu nennen, ein rituell gewachsenes ZwitterFakt naturnaher langdauernder Lebensweise. (dotatelier Video in preparation)

Zwei Phasen
1  Der Ort des Midden ist ein zunächst „von Natur“ (für das menschliche Bedürfnis nach –guter- Nahrung) nahegelegter Ort. Das natürliche, ergiebige Vorkommen von Muscheln liegt in der Nähe (im Wasser). Der Essplatz gleich daneben „an Land“.
2 Am flachen Strand gibt es immer wieder Wolken von Sandflöhen. Sie tummeln sich aber grösstenteils dicht über dem Flachwasser und Sandstrand. Mit der Zeit hebt sich ein immer wieder benutzter Essplatz aus der Sandflohluftschicht in die Höhe – und wird als rituell gewachsen (etwa: wiederholte Begegnung mit Meeresdelphinen in einer Flussmündung) nun auch als herausgehoben erlebt: part of a songline (gelernt in Initiationserlebnissen). Den Midden zu erkennen, zu finden und weiterzunutzen = erhalten gehört nun zur naturverbundenen lokalen Kultur.


Resultativ
Der Evolutionsbiologe Josef K. Reichholf sucht nach den Gründen, warum die Menschen sesshaft wurden und kommt zu überraschend neuen Ansichten. Das Bier war der Grund, weshalb aus Jägern und Sammlern Ackerbauern wurden.
© S. Fischer Vergrößern
Warum wurden die Menschen sesshaft? Die Antwort ist ganz einfach: Weil sie sich zu viel Kram angeschafft hatten, vor allem schwere, sperrige und zerbrechliche Tontöpfe, die sich so gar nicht für ein Jäger- und Sammlerleben eigneten. Doch die neolithische Revolution wäre nicht „das größte Rätsel unserer Geschichte“, wenn diese Antwort mehr als das allerletzte Glied in einer langen Argumentationskette wäre. Wozu brauchten die Menschen die Töpfe? Der Evolutionsbiologe Josef H. Reichholf hat sich die Lebensbedingungen der Steinzeitmenschen genau angesehen und präsentiert in seinem neuen Buch eine ganz andere Sicht der Dinge, als sie im Schulbuch steht.
Der verbreiteten Standarderklärung zufolge wurde das Wild knapp, als sich gegen Ende der letzten Eiszeit das Klima veränderte, und um nicht zu verhungern, musste der Mensch eine neue Nahrungsquelle suchen. Die fand er in den Samen der Gräser, die er im Laufe der Jahrtausende zu den modernen Getreidesorten heranzüchtete – und in Tontöpfen lagerte.
Das steinzeitliche Äckerchen reicht nicht aus
Was an dieser Erklärung faul ist, kann man in manchen Freilichtmuseen betrachten: Dort finden sich hinter den rekonstruierten nacheiszeitlichen Behausungen manchmal kleine Äcker mit zurückgezüchteten Getreideformen, die Ähren dünn wie die der Gräser am Feldrand, die man im Vorbeigehen mit der Hand abstreift. Es ist eine erschreckende Vorstellung, davon Familien ernähren zu müssen. Tatsächlich ist die Vorstellung nicht nur erschreckend, sie ist einfach falsch, hat Reichholf ausgerechnet. Drei Kilogramm wären pro Tag und Person nötig gewesen, um auf eine angemessene Kalorienversorgung zu kommen, fünf Tonnen pro Familie und Jahr. Wer soll das ernten? Und wo? Das steinzeitliche Äckerchen hinter dem Haus dürfte kaum ausgereicht haben.
Reichholf zeigt, dass in der Standardgeschichte über die Sesshaftwerdung des Menschen vieles nicht zusammenpasst. Warum sollte ausgerechnet im Bereich des fruchtbaren Halbmondes, also dort, wo der Ackerbau erfunden wurde, das jagbare Wild knapp geworden sein, während die Menschen in der übrigen bereits besiedelten Welt weiter als Jäger und Sammler leben konnten? Warum wurde der Ackerbau in Südamerika Jahrtausende später erfunden, mit ganz anderen Pflanzen und ohne die Züchtung von Haustieren? Und warum entwickelten die Ureinwohner Australiens gar keine Landwirtschaft? Wenn überhaupt, gilt das übliche Modell nur für den Vorderen Orient, folgert Reichholf, und für diese Region einen Sonderweg anzunehmen ist nicht überzeugend, war sie doch nie vom Rest Eurasiens isoliert.
Am Anfang war das Bier
Reichholf hat eine andere Theorie: Nicht die Not macht erfinderisch, sondern der Überfluss. Nicht der Hunger hat den Frühmenschen aus dem Wald in die Savanne getrieben, sondern die neuen Möglichkeiten, die sich dort boten, haben ihn gelockt. Und auch der Steinzeitmensch wurde nicht aus Not zum Bauern. Wild zum Jagen gab es genug, dazu kamen Nüsse und Beeren und im Frühjahr die Eier der zurückgekehrten Zugvögel. Das Kultivieren von Wildgetreide war weder eine attraktive noch eine nötige Alternative. Im Gegenteil, es fehlte der „Anfangsvorteil“: die Menschen werden die Gräser kaum mit der Idee gezüchtet haben, sie Tausende von Jahren später zum Backen verwenden zu können.
Wozu also brauchte der satte Eiszeitmensch nach Spießbraten mit Preiselbeeren die dünnen Grassamen? Zum Bierbrauen, meint Reichholf und hat damit wohl die griffigste Theorie dieses Sachbuchherbstes aufgestellt: Am Anfang war das Bier. Bis er bei dieser Theorie ankommt, hat der Leser aber eine lange Reise vom ersten Schritt der Frühmenschen in die Savanne, durch die Kultur der Steinzeit, Sinn und Zweck der Sprachevolution und die Domestikation von Haustieren vor sich. Dabei erfährt er allerlei Interessantes über Ostereier, Frühjahrsmüdigkeit und Einhörner, findet aber auch eher gewagte Vermutungen: Fahren die Menschen so gerne in den Urlaub, weil sie ganz tief drin noch immer Nomaden sind? Hat sich der Greifreflex bei Säuglingen erhalten, weil sich ihre Mütter jahrtausendelang in Felle gekleidet haben?
Evolution aus dem Überfluss
Das alles ist leicht lesbar und verständlich, bisweilen aber leider auch in nervigen Stakkato-Sätzchen dargestellt. Die immer neuen Themen, die Reichholf beginnt, verlangen der Geduld des Lesers einiges ab. Zumal die Kapitel manchmal wie separate Texte wirken.
Die zahlreichen Lichter, die dem Leser bei der Lektüre aufgehen werden, dürften ihn dafür jedoch entschädigen. Aus der Evolutionstheorie kennt man vor allem den Evolutionsdruck, schneller, größer, erfolgreicher zu sein als andere. Reichholf hingegen betont die Bedeutung von Wohlergehen und Überfluss. Nur wer auch einmal Zeit hat, vor der Hütte in der Sonne zu sitzen, wird ein Zicklein zähmen; nur wer satt am Lagerfeuer sitzt, wird spielerisch Tonklümpchen ins Feuer werfen und sich Gedanken über Gott und die Welt machen. Ein halbverhungerter Eiszeitmensch ist kein Kulturrevolutionär. Wobei der Begriff der Revolution, auch das merkt Reichholf an, mit Vorsicht zu genießen ist: Tatsächlich handelt es sich um einen „nachgerade trägen Vorgang, der letztendlich bis in die Gegenwart hineinreicht“.
Bier vor Brot
Beweisen lässt sich die Theorie vom Bier als Triebfeder der Getreidekultur so einfach nicht, aber Reichholf führt eine beeindruckende Liste von Indizien an, deren Kernstück die Drogen sind. In allen Kulturen wurde mit Rauschmitteln experimentiert, so der Autor. Schamanen benutzten sie selbst zum Erreichen ekstatischer Zustände und bei besonderen Anlässen gönnten sie davon der Gemeinschaft. In der Kältesteppe des Eiszeitlandes behalf man sich mit Pilzdrogen, weiter südlich gedeihen Hanf und Hopfen, in noch wärmeren Regionen Beeren und natürlich Weintrauben. Im Osten beginnt mit dem Mohn die „Opiumzone“, am Rand des Indischen Ozeans wachsen Betelnuss und Khat, in Mittelamerika der Peyote-Kaktus und in Südamerika der Koka-Strauch.
Und womit berauschen sich die Bewohner der vorderasiatischen Hochländer und Flusstäler? Mit Bier. Aus gerösteten Grassamen gewinnen sie Malz, das von den allgegenwärtigen Hefepilzen vielleicht noch mit Zusatz enzymhaltiger Spucke zu Bier vergoren wird. Zu diesem Zweck genügen schon relativ geringe Mengen der dünnen Ähren. Das erste kultivierte Getreide war denn auch nicht Weizen, sondern die zum Bierbrauen verwendete Gerste. Und diese lässt sich gute sechstausend Jahre vor dem ersten Auftreten von Brot nachweisen. Es hat eben gedauert, so der Autor, bis die Menschen den komplizierten Vorgang des Brotbackens heraushatten. Eine sumerische Tontafel zeigt den engen Zusammenhang von Bier und Brot: Die Sumerer buken zuerst Fladen, die dann zu Bierteig vergoren wurden. Für die Frauen wurde das Bier aus Weizen hergestellt und mit Honig und Zimt versüßt, Männer tranken herberes Gerstenbier.
Sowohl das Bier wie auch die Getreidevorräte mussten sicher aufbewahrt werden. Dazu brauchte man die Tontöpfe oder -fässer, und mit ihnen nahm die Mobilität der Jäger und Sammler ab. Auch die ersten festen Bauten dienten, getreu der Theorie vom Überfluss, wohl nicht einfach dem Schutz frierender Steinzeitmenschen, sondern der Belustigung einer gut versorgten Bevölkerung.Vermutlich handelte es sich um Kultstätten, an denen die sonst umherziehenden Stämme zu besonderen Anlässen gemeinsam feierten – und ein Fass aufmachten.
Josef H. Reichholf: „Warum die Menschen sesshaft wurden“. Das größte Rätsel unserer Geschichte. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 315 S., Abb., geb., 19,90 Euro.
Quelle: F.A.Z.

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