Samstag, 15. August 2009

PROTAGORASbild (Lara Blank)

Das Protagorasbild im Vergleich Platon / Staude


Inhaltsverzeichnis

1.Einleitung
2. Das Leben des Protagoras
3. Lehre und Philosophie
4. Das Protagorasbild in Staude: Gastmahl des Euripides
5. Das Protagorasbild in Platon: Protagoras
6. Vergleich Staude/ Platon
6.1 Sprechsituation
6.2 Protagoras Auftreten
7. Fazit
8. Literaturverzeichnis



1. Einleitung

Protagoras war ein griechischer Philosoph und einer der bedeutendsten Sophisten. Als Wanderlehrer der Rhetorik macht er sich einen Namen, weilte meist jedoch in Athen, wo er wegen seiner Schrift „ Über die Götter“ der Gottlosigkeit angeklagt wurde. Eine Interpretation seines philosophischen Hauptsatzes < Der Mensch ist das Maß aller Dinge, der seienden, dass sie sind, der nichtseienden, dass sie nicht sind >(Homo- mensura- Satz) bezieht ihn auf die Abwesenheit einer allgemein gültigen Wahrheit: demnach ist Alles , als was es jeweils den Einzelnen erscheint. (Relativismus / Subjektivismus - Deutung)
Anhand Platons Protagoras und Detlef Staudes Gastmahl des Euripides werde ich nun im folgenden die Person des Protagoras näher beleuchten und versuchen, mehr über seinen Charakter, seine Lebensweise, Weltanschauung und Verhaltensweisen herauszufinden. Die beiden Texte sollen dabei helfen, den Charakter des Protagoras von verschiedenen Seiten zu betrachten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszufinden und ihn in einem (möglichst realitätsgetreuen?) Bild darzustellen, welches seine Ideale, Ansichten, Charakterzüge und philosophischen Lehren widerspiegelt.


2. Das Leben des Protagoras

Protagoras aus Abdera, war ein griechischer Sophist, der voraussichtlich 485 v. Chr. (=ante) geboren wurde, Blüte um 444/3 ante. Protagoras wurde etwa 70 Jahre alt. Er wurde von Phythodor, einem aus dem Rat der Vierhundert, wegen seiner Schrift über die Götter des Atheismus beschuldigt und angeklagt. Nachdem er verurteilt wurde, ertrank er auf der Flucht nach Sizilien 415 ante bei einem Schiffbruch.
Protagoras‘ Hauptwerke sind "Wahrheit" und "Niederwerfende Argumente", die leider verlorengegangen sind. Hinzu kommen weitere Werke wie "Über das Seiende" und "Antilogien". Protagoras’ gesamte Buchpublikationen sind leider verschwunden, da sie angeblich in Athen eingezogen und verbrannt wurden.
Protagoras gehört der zweiten Periode der attischen Philosophie an, der Sophistik, welche etwa von der Mitte des 5. bis zum Ende des 4.Jhd. reicht. Die Sophistik bezeichnet keine klar definierte Gruppe oder eine bestimmte philosophische Richtung, was einer der großen Unterschiede zwischen Philosophen und Sophisten darstellt. Das Wort „Sophist“ bedeutet nichts anderes als „Sachkundiger“, ein Mann, der sich durch Können und Wissen auszeichnet. Einfluss bekamen Sophisten vor allem durch politische Ursachen: Die Ablösung der Adelsherrschaft durch die Demokratie in Athen bedeutete, dass man nicht mehr durch seine hohe Geburt, sondern durch sein Auftreten überzeugen musste. Die Kunst der Rhetorik begann dadurch an Bedeutung zuzunehmen. Der Bedarf an einer entsprechenden Ausbildung wuchs. Die Sophisten zogen umher und hielten in Städten Kurse zur politischen Tätigkeit, Bildung, Kosmologie, Dichtererklärung, Mythologie und Kulturgeschichte. Der sophistische Unterricht, der dem Schüler politische, soziale und materielle Erfolge versprach, wurde gegen Bezahlung erteilt. Das war ein völlig neuer Stil der Wissensvermittlung, was zu einer Demokratisierung der Philosophie führte. Denn das Wissen wurde an alle weitergegeben und nicht nur an einen ausgewählten, meist adeligen Kreis.

Diese Art der Wissensvermittlung wurde den Sophisten nicht nur positiv angerechnet. Viele wurden als gewinnsüchtige Händler mit Schein- und Trugweisheiten angesehen. Darüber hinaus wurde die Sophistik nicht als Weisheitslehre anerkannt, die den ganzen Menschen prägt.


3. Philosophie und Lehre

Die Sophisten beschäftigten sich vor allem mit der Erkenntnistheorie, bei welcher der Mensch als erkennendes und wollendes Subjekt im Mittelpunkt steht.
Protagoras stellte die Behauptung auf, der Mensch ist alles aus sich, er ist das Maß seiner Erkenntnis (Subjektivismus). Wie einem jeden ein jegliches scheint, so ist es für ihn. Es ist nichts an und für sich, sondern alles ist ein Relatives (Relativismus). Eine allgemein gültige Wahrheit ist somit nicht möglich. Daraus folgt, wenn für jeden wahr ist, was ihm war erscheint, ist jeder Widerspruch grundlos. Denn was ein jeder meint und sagt, ist Wahrheit.
Wie soll man aber nun diese Wahrheiten einordnen ? Gibt es bessere oder schlechtere Wahrheiten?
Laut Protagoras kommt es auf den Qualitätsunterschied zwischen den verschiedenen Annahmen an. Weise ist, wer in demjenigen unter uns, dem Schlechtes erscheint und ist, eine Wandlung hervorruft, so dass ihm Gutes erscheint und ist. Was der Arzt mit Heilmitteln erreicht, dass leistet der Sophist durch Reden.1

Die Kunst der Sophisten bestand für Protagoras in der Fähigkeit, den Gegenspieler von seiner eigenen Meinung zu überzeugen und die von ihm aufgestellte These zu bekämpfen. Durch einen dialektisch- rhetorischen Unterricht sollten theoretische Lehre und praktische Übung geübt werden. Die Königsdisziplin bestand darin, die schwächere Seite zur stärkeren zu machen.
Mit dieser „Philosophie der Rhetorik“ machten sich Protagoras und die Sophisten ziemlich unbeliebt. Ihnen wurde angekreidet, der moralisch schlechteren Sache zum Sieg zu verhelfen. Besonders die spätere Sophistik, welche den protagoreischen Relativismus zugunsten rücksichtsloser Verfolgung ihrer eigenen Interessen und unmoralischer Deutungen auslegte, kam zusehends in Verruf.

Für das Handeln des Menschen zog Protagoras allerdings nicht die Konsequenzen aus seinem Subjektivismus. Er bestritt, dass verschiedene Vorstellungen des Handelns als gleichwertig angesehen werden können. Allein dem Redner komme die Aufgabe der sittlichen Reform des Staates zu. Bezogen auf die Tugend sollte nicht Willkür und das was dem einzelnen gerade gefällt Geltung haben, sondern das Wort der Sophisten. Protagoras sah sich selbst als Lehrer der Tugend. Anlässlich dieser Annahme muss er sich in Platons Protagoras gegenüber einem schlagfertigen und brillant taktierenden und argumentierenden Sokrates behaupten.

Nichtsdestotrotz gebührt Protagoras wissenschaftlicher Verdienst auf dem Gebiet der sprachlichen Untersuchungen. Er befasste sich mit Satzformen, auf denen verbale Modi beruhen, mit den Genera des Nomens und dem rechten Wortgebrauch.

Im Bezug auf die Götter ließ er verlauten, dass er nicht wisse ob es sie gibt oder nicht (argumentativer Agnostizismus). Denn vieles verhindere, es zu wissen: die Dunkelheit der Sache und die Kürze des menschlichen Lebens.2 Dies war demnach auch der Grund, warum Protagoras von Pythodor auf Atheismus angeklagt und verurteilt wurde.


4. Das Protagorasbild in Staude: Gastmahl des Euripides

Das Gastmahl des Euripides ist ein fiktiver Dialog zwischen 5 Personen 412 v. Chr. in Athen, im Hause des Euripides. Bei den Personen handelt es sich um Protagoras, Euripides, Aspasia, Sokrates und einen Fremden, die sich im Hause des Euripides treffen, um über die lebenspraktische Bedeutung des Philosophierens zu sprechen. Dabei hat jeder Teilnehmer des Gesprächs die Möglichkeit, seine Meinung in einer kurzen flammenden Rede kundzutun, ohne dass er von den anderen unterbrochen wird. Es ist daher kein Streitgespräch, sondern eher ein Symposion, bei dem Wein getrunken und ausgiebig gespeist wird.

Ich werde mich im nachfolgenden Text nur auf die Person des Protagoras konzentrieren, um seine Darstellung, sein Verhalten und seine Aussagen genau zu analysieren und
mit Platons’ Protagoras-Bild zu vergleichen.

Das Gastmahl des Euripides beginnt mit dem Eintreffen des Protagoras. Dieser ist als Erster anwesend und fängt mit Euripides ein Gespräch über sein nächstes Buch an. Dieses handelt von den Göttern und soll eine Grundlage für das Nachdenken über Religion werden. Euripides gibt zu bedenken, dass es nicht einfach sein wird, ein solches Buch ohne Gefahr zu veröffentlichen. Dem ist sich auch Protagoras bewusst, doch für ihn ist es wichtig, den Menschen zum Nachdenken herauszufordern.. Seine Absicht: Bei jedem Menschen seine besten Anlagen voll zur Entfaltung zu bringen.3 Auch wenn man dabei sein eigenes Schicksal herausfordert. Euripides ist derselben Meinung und geht noch einen Schritt weiter: Um seine Fähigkeiten voll zu entfalten, muss man sich irgendwann entscheiden, was einem wichtiger ist: diese eigene Entfaltung oder all das, was uns sonst bestimmt4, wie Liebe, Freundschaft, Reichtum, Macht, etc.
Sokrates und Aspasia treffen ein, man begrüßt sich herzlich und beginnt mit der Vorspeise. Danach gebührt dem Gastgeber Euripides das Wort und es folgt die erste Rede. Als Zweiter ist Protagoras an der Reihe und er beginnt seine eigene Position darzulegen und die Anderen über die Grundsätze seiner philosophisch- praktischen Tätigkeit als Sophist aufzuklären.
Er beginnt damit, den Nutzen und den Sinn der Philosophie im alltäglichen Leben aufzuzeigen.
Schon immer strebten die Menschen nach Wissen und Weisheit, was unweigerlich zu Fragen führt, deren unmittelbarer Nutzen nicht sofort ersichtlich ist. Nichtsdestotrotz bereichert das bloße Nachsinnen, indem man Klarheit gewinnt über sich oder die Welt.
Laut Protagoras gibt es 3 verschiedene Arten von auftauchenden Fragen beim Nachsinnen:
Fragen über die Welt und die Gesetzmäßigkeiten
Fragen über allgemeine, theoretische Dinge
Fragen über den Menschen und seine Existenz
All diese Fragen sind von großer lebenspraktischer Bedeutung

Bei der Beantwortung dieser Fragen hilft dem Menschen der Sophist. Dieser ist allerdings kein Arzt, der je nach Bedarf Rezepte verteilt und jeden heilen kann. Er berät die Menschen und regt sie dadurch an, sich selbst zu befragen, Konzepte, Meinungen, Glaubenssätze zu überprüfen und Erfahrungen zu bedenken. Mittels dieser Beratung soll der Mensch auf bewusste Weise sich selbst erkennen und das Vollmass seiner Fähigkeiten ausschöpfen.

Um den Menschen zur Entfaltung seiner Fähigkeiten zu verhelfen, muss der Sophist bestimmte Vorraussetzungen erfüllen und über gewisse Fertigkeiten verfügen:
Lebenserfahrung
Klares, begriffliches Denken
Guten theoretischen Hintergrund
Menschenkenntnis, Selbsterkenntnis, Selbstsicherheit
Mittel und Wege kennen, die den Menschen fördern ( beispielsweise durch ein Gleichnis, Humor, Frage)
Fähigkeiten des Gegenüber erkennen
Der Sophist zeigt dem Menschen Methoden/ Wege auf, die ihm zu lebensfundierender Erkenntnis und Weisheit verhelfen


Philosophische Praxis

Im Gegensatz dazu steht der theoretische Philosoph, der Liebhaber von Wissen, Worten und Definitionen ist, ohne Bezug zur menschlichen Existenz.
Der Sophist hingegen vereint beides. Mithilfe von theoretischem Philosophieren gelingt es ihm, einen praktischen Bezug zum Leben herzustellen. Die praktische Philosophie vermittelt vor allem Tiefe im Selbstverstehen, Distanz zur Befangenheit in persönlichen Situationen und Orientierung in sich selbst und im Leben.

In seiner eindrucksvollen Rede hält Protagoras ein Plädoyer für die praktische Philosophie, welche seiner Meinung nach die zentrale Quelle für die Entwicklung der Person und die Orientierung des Individuums und der Gesellschaft ist5.


5. Das Protagorasbild in Platon: Protagoras

In Platons’ Protagoras geht es um die Frage nach der Lehrbarkeit der Tugend.
Sokrates wird von Hippokrates, einem jugendlichen Anhänger des Sokrates, gebeten um Fürsprache bei dem Sophisten Protagoras. Hippokrates möchte unbedingt diesen überaus berühmten Philosophen sehen und kennen lernen. Er erhofft sich durch Protagoras „weise zu werden“ und sein vortreffliches Wissens anhören zu dürfen.
Nachdem Sokrates einwilligt, gehen beide zu Kallias, in dessen Haus Protagoras wohnt. Sokrates fragt sogleich den Sophisten nach Sinn und Art der sophistischen Bildung und was Hippokrates von seinem Unterricht zu erwarten habe. Protagoras antwortet darauf, dass man durch seinen Unterricht mit jedem Tag an Tüchtigkeit zunimmt und zu einem guten Staatsbürger wird. Sokrates kann das nicht glauben und bezweifelt, dass dergleichen lehrbar ist. Daraufhin beginnt ein hitziges Streitgespräch zwischen den beiden Philosophen über die Lehrbarkeit der Tugend.

Zu Beginn glänzt Protagoras mit Rhetorik in „langen, schönen Reden.“6 Auf die Frage nach Sinn und Art der sophistischen Bildung verfällt er in eine Lobpreisung der Sophistik. Anschließend trägt Protagoras einen Mythos vor, um zu beweisen, dass die politische Tugend angeboren ist.
„Hermes fragte nun den Zeus, wie er den Menschen Gerechtigkeitsgefühl und Rücksichtnahme verleihen solle. Soll ich sie so verteilen, wie die Künste verteilt sind? Deren Verteilung ist doch so: einer, der die ärztliche Kunst versteht, reicht zur Versorgung vieler Laien aus.(...)Soll ich das Gefühl für Recht und Rücksichtnahme in dieser Weise unter die Menschen verteilen oder soll ich sie an alle vergeben? An alle, antwortete Zeus; jeder soll daran teilhaben.“7
In seiner anschließenden Erörterung beweist Protagoras, dass die politische Tüchtigkeit durch Belehrung gefördert werden kann ( Abschreckung als Strafzweck). Auch auf den sokratischen Einwand, warum große politische Führer ihren Söhnen offenbar nichts von ihren besonderen Fähigkeiten beibringen, kontert Protagoras mit dem Verweis auf die Naturgrenzen der Bildung.
In diesem ersten Teil des Buchs kann Protagoras mit seinem Hymnus, seinem Mythos und seiner kunstvollen Art des Vortragens punkten und die Zuhörer in seinen Bann ziehen. Er argumentiert auf den ersten Blick sehr überzeugend, wie Tugend gelehrt werden kann und auf was es dabei ankommt.
„ Du brauchst dir nur klarzumachen, Sokrates, was für einen Zweck die Bestrafung der Übeltäter hat, dann wirst du erkennen, dass die Menschen die Tugend für ein Gut halten, dass man sich erwerben kann. Denn niemand bestraft den Übeltäter im Hinblick darauf und um deswillen, weil er sich vergangen hat.(....)Wer mit Vernunft strafen will, tut es nicht des geschehenen Unrechts wegen- denn das Geschehene kann er nicht ungeschehen machen-, sondern der Zukunft wegen.(....)Wer so denkt, hält die Tugend für lehrbar, denn er straft, um abzuschrecken.“8

Sokrates ist entzückt von dieser bedeutsamen Rede9 (von Platon ironisch gemeint) und möchte nur noch eine Kleinigkeit von Protagoras wissen. Er bittet diesen um Aufschluss über eine letzte Frage: „ Erkläre mir bitte genau, ob die Tugend eine Einheit ist, aber doch nur so, dass Gerechtigkeit, Besonnenheit und Frömmigkeit Teile von ihr sind, oder ob die genannten Tugenden alle nur verschiedene Namen für die eine gleiche Sache sind.“
Protagoras bekennt sich zum zweiten Teil der Alternative und wird nun von Sokrates, welcher anderer Meinung ist, in die Mangel genommen. Nach und nach beweist dieser ihm die Einheit von Frömmigkeit, Gerechtigkeit, Besonnenheit und Weisheit. Anhand strikter Begriffsdefinitionen und der typischen, sokratischen Gesprächsführung ( kurzes Frage- Antwort Sprachduell) führt Sokrates den Protagoras zur unausweichlichen Erkenntnis, dass Tugend eine Einheit ist. Da Protagoras über diese einleuchtende und logische Argumentation verärgert ist, will er sich dem Zugriff seines Gesprächspartner entziehen und versucht durch lange, ausführliche Antworten Sokrates und die Zuhörer „einzulullen“ und von seiner Unkenntnis abzulenken.
Doch Sokrates durchschaut den Sophisten und begreift, dass er durch seinen Vortrag bloß glänzen will und nichts zur Klärung der Frage nach der Lehrbarkeit der Tugend beiträgt. Daraufhin bittet er ihn, das Gespräch in Kurzform weiterzuführen, da er sonst schnell vergesse, wovon eigentlich die Rede sei. Diesem Wunsch kommt Protagoras nicht nach, sodass Sokrates keine andere Möglichkeit sieht als das Gespräch zu beenden. Auf allgemeinen Wunsch und nach langem hin und her kommen beide doch noch zu einer Einigung. Dem Protagoras wird die Führung des Gesprächs anvertraut und er schlägt vor, dass Problem in Form einer Gedichtinterpretation zu lösen. Sokrates gibt nicht viel auf die in sophistischen Kreisen so beliebte Dichtererklärung. Nichtsdestotrotz glänzt er (bzw. Autor Platon) auch auf diesem Gebiet durch messerscharfen Verstand und schlüssige Interpretationsgabe.

Sokrates greift das Problem der Einheit der Tugend wieder auf und übernimmt die Gesprächsführung erneut. Er bemüht sich um den Nachweis, dass alle Tugenden, die Gerechtigkeit, die Besonnenheit und die Tapferkeit Wissen sind. Protagoras ist anderer Meinung, lässt den Sokrates aber in seinem Nachweis fortfahren. Wiederum schafft es Sokrates, den Sophisten durch kluge und einleuchtende Argumentation von seinem Standpunkt zu überzeugen.

Am Ende fasst Sokrates die Erkenntnisse des Gesprächs zusammen und kommt zu einem sonderbaren Ergebnis. Er selbst habe vorher behauptet, die Tugend sei nicht lehrbar und habe sich dennoch mit großer Entschiedenheit für den Nachweiß bemüht, dass alle Tugenden, die Gerechtigkeit, die Tapferkeit und die Besonnenheit Wissen sind. Im Gegensatz dazu habe Protagoras behauptet, Tugend sei lehrbar und jetzt ist es ihm offenbar sehr darum zu tun, dass sie so ziemlich alles andere als Wissen ist10.
Man kommt überein, die Frage ein nächstes mal weiter zu behandeln und verabschiedet sich mit anerkennenden Worten.

6. Vergleich Staude/ Platon

6.1 Sprechsituation:

Staude
Betrachtet man die verschiedenen Sprechsituationen in beiden Werken, so stößt man schon auf den ersten großer Unterschied. Im Gastmahl des Euripides lässt Staude 5 verschiedene Sprecher zu Wort kommen. Dies sind Euripides, Protagoras, Sokrates, Aspasia und der Fremde. Das Gespräch besteht aus 5 Monologen/ Reden zum Thema lebenspraktische Bedeutung des Philosophierens. Außer den 5 Rednern sind keine weiteren Personen anwesend. Zwischen den einzelnen Reden gibt es „Verschnaufpausen“, in denen reichlich gegessen und getrunken wird. Man könnte daher auch von einer Art Symposion sprechen. Folglich blieb für jeden Redner genügend Zeit zum Nachdenken, um auf den Vorredner zu reagieren ( Was will ich wie ausdrücken?). Zusammengefasst kann man sagen, dass es sich bei Staudes Gastmahl des Euripides um ein entspanntes Philosophentreffen handelt, wobei gemütlich gegessen und getrunken wurde. Dabei tragen vor allem Harmonie, Freundschaft, Gemütlichkeit, Freude und Entspannung zu einer positiven Grundstimmung bei.

Platon
In Platons Protagoras treten vornehmlich 2 Sprecher auf, Protagoras und Sokrates. Hin und wieder ergreifen andere Philosophen kurz das Wort, was allerdings zu vernachlässigen ist. Das Gespräch besteht aus einem Dialog, besser gesagt einem Streitgespräch/Disput, zum Thema Lehrbarkeit der Tugend. Außer den beiden Sprechern sind noch andere Personen anwesend. Eine Zuhörermenge aus Philosophen, deren Schülern, Adligen und Politikern sitzen um die beiden Sprecher herum und lauschen gebannt dem Rededuell. Wer hat die bessere Rhetorik und wer die besseren Argumente? Ein wahres „ Philosophenbattle“ bietet sich den Zuhörern dar. Hitzige Wortwechsel, spontane Äußerungen und emotionale Reaktionen begleiten das Aufeinandertreffen zweier philosophischer Giganten. Beide kommunizieren auf einer Ebene, die deutlich Rivalität, Vorsicht, Anspannung und Vorurteile spüren lässt.


6.2 Protagoras Auftreten

Staude
Staude beschreibt „seinen“ Protagoras als einen bekannten Sophisten, der wirkliche Freunde11 in Athen gefunden hat und beliebt ist. Darüber hinaus ist er als begnadeter Rhetoriker anerkannt, der große, stilistische Reden hält. Er gilt als Mann großer Worte und bekommt im Gastmahl des Euripides anerkennenden Applaus für seine Rede. Vor allem Sokrates äußert sich begeistert von Protagoras Vortrag:
„Als Protagoras geendet hatte, applaudierten die Anderen, und Sokrates sagte, wer diese eindrucksvolle Rede gehört habe , müsse Protagoras zustimmen. Das Thema ausdrucksvoller und mitreissender zur Sprache zu bringen und dabei alle zu überzeugen, dass die Philosophische Praxis die zentrale Quelle für die Entwicklung der Person und die Orientierung des Individuums und der Gesellschaft werden könne, das könne niemand von ihnen.“12

Platon
Anfangs lässt Platon den Protagoras selbstsicher, freundlich und gut gelaunt auftreten. Dieser heißt Sokrates und Hippokrates aufrichtig willkommen und zögert nicht, den beiden Rede und Antwort zu stehen. Im weiteren Verlauf des Gesprächs wird der Sophist allerdings immer unsicherer, weil er Sokrates rhetorisch und argumentativ unterlegen ist. Protagoras zieht sich immer mehr zurück und überlässt Sokrates die Führungsrolle im Gespräch. Dieser dominiert und leitet den Redewettstreit, wodurch Protagoras immer gereizter wird. Er fühlt sich in seiner Ehre gekränkt und will sich dem Sokrates nicht geschlagen geben. Schließlich weigert er sich das Gespräch nach Sokrates Regeln weiter zu führen ( kurzes Frage- Antwort Duell). Daraufhin will Sokrates das Gespräch beenden, wovon ihn die Zuhörer gerade noch abhalten können. Gegen Ende muss Protagoras einsehen, dass er gegen Sokrates Argumentation keine Chance hat und resigniert. Ohne weiteres kann man sagen, dass Sokrates den Protagoras wie ein Spielzeug für seine eigene Argumentation benutzt. Folglich ist keine Spur mehr von der Aura des berühmten, angesehenen und hoch verehrten Sophisten Protagoras zu sehen.

7. Fazit

Anhand des Vergleichs wird deutlich wie unterschiedlich die Person des Protagoras in den Werken von Staude: Das Gastmahl des Euripides und Platon: Protagoras dargestellt wird. Erstaunlich wie verschieden Platon und Staude eine historische Person wie Protagoras charakterisieren. Doch wovon hängt dieser Unterschied ab? Beide Autoren stellen Protagoras auf ihre ganz eigene Art und Weise dar. Was bewegt sie dazu?
Um diese Fragen zu klären, möchte ich vorab ein paar Worte über die Autoren verlieren.

Detlef Staude leitet seit 1997 in Bern die Philosophische Praxis philocom. Er ist Initiator und Koordinator von philopraxis.ch. Darüber hinaus bietet er philosophische Gesprächsgruppen an und leitet Veranstaltungen gemeinsam mit anderen Philosophen, sowie Lehrgänge, philosophische Reisen, Beratungen, Seminare, Vorträge und philosophische Cafés.
Meiner Meinung nach möchte Staude mit dem Gastmahl des Euripides einen groben Überblick über historische Philosophen um die Zeit 412 ante vermitteln.. Er zeigt verschiedene Philosophieströmungen und Ansichten auf, indem er 4 Philosophen innerhalb eines Symposions über ein bestimmtes Thema philosophieren lässt. Auch wenn dieses Zusammentreffen nie in Wirklichkeit stattgefunden hat, so hätte es möglicherweise in dieser Form ablaufen können. Staude bemüht sich um eine wahrheitsgetreue Darstellung und folgt so gut wie möglich dem historisch Überlieferten. Seine Intention ist hauptsächlich historisch-informativer Natur .

Einen völlig anderen Anspruch hat dagegen Platon. Als Schüler des Sokrates und erbitterter Gegner der Sophisten stehen für ihn folgende Dinge im Vordergrund. Die Wahrheit über die Sophisten ans Licht bringen, ihr Ansehen schmäler und dem gegenüber, Weisheit, Lehre und Weltanschauung des Sokrates publizieren. Für Platon waren die Sophisten Betrüger, die behaupteten Wissen über Dinge zu haben, von denen sie keine Ahnung hatten und dafür auch noch Geld nahmen. Demzufolge stellt Platon Protagoras als aufgeblasenen „Taugenichts“ dar. Darüber hinaus gesteht er ihm keinerlei rhetorische Fähigkeiten und Wissen über die wichtigen Dinge im Leben zu. Neben Sokrates, dem übermächtigem Gegner, geht der sonst so angesehene Rhetoriker Protagoras völlig unter.
Neben der Enthüllung sophistischer Unwissenheit geht es Platon auch um die Klärung ethischer Begriffe. In Protagoras geht es vor allem um den Begriff der Tugend. Was ist Tugend? Ist Tugend lehrbar? Betrachtet man Platons Jugendschriften, so sind ethische Begriffsbestimmungen vorwiegender Inhalt.
Grundsätzlich verfolgt Platon mit seinem Werk Protagoras zwei Ziele. Zum einen den Angriff auf die Sophisten, wobei er persönliche Eigenschaften, wie ihre Eitelkeit und Selbstüberschätzung, sowie die Bezahlung für ihren Unterricht anprangert und zum anderen beabsichtigt Platon die Bestimmung ethischer Begriffe, die den Menschen Orientierung in ihrem Leben geben sollen.

Beide Werke sind schwierig miteinander zu vergleichen, da die Autoren völlig unterschiedliche Intentionen vorweisen. Darüber hinaus liegt zwischen dem Verfassen der beiden Texte eine Zeitspanne von mehr als 2000 Jahren. Nichtsdestotrotz geben uns beide Schriften einen schönen Einblick in die Person des Protagoras und helfen dem Leser selbst ein Bild von Protagoras zu entwerfen.

Anmerkungen
1 Ueberweg, Friedrich: Grundriss der Geschichte der Philosophie, S. 116
2 Ueberweg, Friedrich: Grundriss der Geschichte der Philosophie, S. 119
3 Staude, Detlef: Das Gastmahl des Euripides.In: Das Orientierungslos, S.69
4 Staude, Detlef: Das Gastmahl des Euripides.In: Das Orientierungslos, S. 69
5 Staude, Detlef: Das Gastmahl des Euripides.In Das Orientierungslos, S. 75
6 Apelt, Otto: Platon Protagoras, S. 25, Zeile 22
7 Apelt, Otto: Platon Protagoras, S. 17
8 Apelt, Otto: Platon Protagoras, S. 19-20
9 Apelt, Otto: Platon Protagoras, S. 24
10 Apelt, Otto: Platon Protagoras, S. 68
11 Staude, Detlef: Das Gastmahl des Euripides.In: Das Orientierungslos, Philosophische Praxis unterwegs, S. 68
12 ebenda S. 75


8. Literaturverzeichnis

Bücher:

Apelt, Otto: Platon Protagoras. 3. Auflage, neubearbeitet von Arno Mauersberger und Annemarie Capelle.Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1956.
Brockhaus Enzyklopädie. Siebzehnter Band.19.,völlig neu bearbeitete Auflage, Mannheim: F.A. Brockhaus GmbH, 1992.
Roth, Volkbert M. / Staude, Detlef (Hg.) für netzwerk philopraxis.ch: Das OrientierungsLOs. Philosophische Praxis unterwegs. Reihe: Philosophische Praxis Band 1,
Konstanz: Hartung-Gorre Verlag 2008
Ueberweg, Friedrich: Grundriss der Geschichte der Philosophie .In: Praechter, Karl (Hrsg.): Die Philosophie des Altertums. Erster Band. Basel/ Stuttgart: Schwabe & Co. Verlag, 1967.

Internet:

http://www.hartung-gorre.de/Phi1.htm

http://www2.warwick.ac.uk/fac/soc/philosophy/graduate_students/pyraad2/plato/