Samstag, 3. August 2013

Philosophieren mit Kids

http://moloch.ch/philopraxis/wp-content/uploads/2013/08/roth_rezension_eitzinger_ist_philosophieren_mit_kindern_philosophie.pdf

(dort : eingefügte Bilder, auch von Textstellen)

Besprechung :

W A I K I K I  -whykiki-      oder

IST PHILOSOPHIEREN MIT KINDERN PHILOSOPHIE ?

Die sympathische Autorin aus Vorarlberg lernte der Rezensent beim Wintertreffen der Gruppe philopraxis.ch kennen. Mag. Maria Eitzinger macht nach Abschluss ihrer Universitätsausbildung gerade die ersten Schritte in die Berufstätigkeit u. a. mit einer Vertretung in der Lehre der PH des Kantons Thurgau in unserer Nachbarstadt.

Der Titel macht (mich) neugierig. Freilich kommt p. 8 vorab   die überraschende Eröffnung: „Ich werde die Begriffe Philosophie und Philosophieren in meiner Arbeit gleichbedeutend verwenden.“ Vgl. Tractatus 4.112: „Philosophie ist keine Lehre, sondern eine Tätigkeit“(Wittgenstein).

Was bedeutet das für die Titelfrage? Enthält fee-lah-so-fee (Thomas Jackson Newsletter/Hawai), enthält die Kinderphilosophie  die „Aspekte ..., die das Philosophieren ausmachen“? (U4) Und welche sind das?

Es sind 3 US-Amerikaner und eine Schweizerin, deren Ansätze zum Philosophieren von Vorschulkindern und dem Philosophieren mit Kindern und Jugendlichen (in der Schule) als exemplarisch vorgestellt werden.  Neben Eva Zoller (PH Kreuzlingen) sind es der Gründer des IAPC* (1974) Matthew Lipman (NY), Gareth B. Matthews (Amherst) und am wichtigsten: Thomas E. Jackson (Hawai), bei dem die Autorin 7 Monate studierte.



„Die meisten Wissenschaften definieren sich ... über ihren Zuständigkeitsbereich... Die Philosophie hingegen kann dies nicht, da ihr Gebiet ... nicht fest umrissen ist.“ p. 33

Die Autorin verzichtet daher zunächst auf  eine Begriffsbestimmung von Philosophie und führt statt dessen 5 Aspekte des Philosophierens auf .
Siehe philopraxis.ch-link !



„Ich werde mich der traditionellen Dreiteilung anschließen“ (Epistemologie / Ethik / Metaphysik) p.54ff wird hierzu ausgeführt und erläutert (unter Bezug auf Stoa, Kant, Aristoteles und Heidegger/Parmenides- zur Metaphysik). Offenbar möchte die Autorin in der dritten philosophischen Disziplin auch  (philosophische) Theologie einbeziehen, cf. p. 53

FRAGEN (p. 40ff) sind für sie das Lebenselexier der Philosophie/ des Philosophierens. Dabei bestätigen die ersten 2 (der 3 oder 4) Kantschen Fragen diese Disziplineneinteilung :

Was kann ich wissen ? (reine Vernunft / Epistemologie)

Was soll ich tun? (praktische Vernunft / Ethik)

Hinsichtlich der dritten Kantschen Frage: Was darf ich hoffen? (die mir nicht im selben Maße aktuell zu sein scheint) hält es die Autorin mit Ludwig Marcuses Sentenz, die Metaphysik liefere sinnlose Antworten „auf sehr sinnvolle Fragen“ (p. 43).  Dies bestärkt sie in ihrer Meinung, „dass die Frage in der Philosophie wichtiger ist als die Antwort“  -  oder  Philosophieren wichtiger als Philosophie?  Strukturell auffällig ist, dass es für das im Grundschulalter ausführlich dokumentierte (und analysierte) Textbeispiele gibt („little – p“ philosophy), doch von „big – P“ Philosophen bleiben co-text und Diskussionskontext ihrer Äußerungen durchgängig ausgespart. Man ist sofort geneigt anzufügen: „Dies ist aber im Rahmen einer Magisterarbeit auch gar nicht anders möglich!“ Insbesondere wenn so viele Philosophen in ihren Aussprüchen herangezogen werden. Doch bleibt nicht der Einwand, dass hier zu Unterscheidendes verglichen wird? Auf Seiten der PhilosophInnen Sentenzen, auf Seiten des  Philosophierens / Diskutierens mit Kindern Gespräche in der Gruppe (mit Lehrperson).

Und was könnte man vergleichen? Philosophieren mit Kindern  in der Elementary School und Diskussionen in einem philosophischen Seminar an einer Universität oder in einem Café philo* oder Dialog mit Sokrates? Gibt es Übereinstimmung mit dem, was Philosophen über Philosophieren verkünden (cf. „Zusammenhang der Aspekte“,  37ff und das kurze Eingehen auf „Theorie und Praxis“  87) und dem, was sich in beobachtbaren philosophischen Gesprächen

Erwachsener zeigt? (Freilich; was darf als philosophisches Gespräch gelten? Und: ist

Philosophieren im Universitätsseminar angeboten durch in Philosophie Habilitierte jedenfalls Philosophie? Maria Eitzinger führte am 3.3.2009 mit Studierenden der PHTG eine Diskussion nach den Jackson-Regeln durch über die Frage: „und nach dem Tod?“ - solche Debatten unter Auszubildenden scheinen mir ein naheliegendes Vergleichsmaterial. Freilich fragte eine

Teilnehmerin: ist das eigentlich eine philosophische Frage? Bietet sich an, darüber nach Jackson-

Regeln zu philosophieren und dies mit Kinderphilosophie „über Leben und Tod“ zu vergleichen.)

Ganz am Schluss im Abschnitt 4.2  (pp. 88f) wird dann unter dem Titel „Unterschiede zwischen PhilosophInnen und (-philosophierenden-) Kindern“ vermerkt, „dass der/die PhilosophIn die meiste Zeit alleine arbeitet und mit anderen Denkern hauptsächlich über Bücher in Kontakt steht.“ (eine Idealisierung) “Die Kinder philosophieren in einer Gruppe.“ (korrekt für das angeführte

Material) Ist es nicht vielmehr so, dass die Autorin über philosophische Bücher mit

PhilosophInnen, die sie zitiert, Kontakt aufnimmt, also mit aufgeschriebener Philosophie, und in

Kontrast dazu das von ihr ausgewählte, teils selbst mit veranlasste und hier vorgestellte mündliche Philosophieren  mit Kindern steht? Gibt es Vergleichbares etwa mit Studierenden? Siehe etwa die traditionellen studentischen debating societies in Oxford. Macht der Bezug auf aufgeschriebene Philosophie Anderer den Unterschied zur Kinderphilosophie?  (Aber siehe das Beispiel 3.3.2009)

 Die griffige Titelfrage  „Ist Philosophieren mit Kindern Philosophie?“

könnte den nahe liegenden Blick darauf versperren, dass nicht mehr (und nicht weniger) als Familienähnlichkeit  zu erwarten ist. Auch Philosophieren ist ein Sprachspiel,  in dem von Wittgenstein in die Philosophie eingeführten, zugleich anspruchsvollen und bescheiden selbstkritischen Sinn.  Maria Eitzingers  SCHLUSS (im Doppelsinn) : „Philosophieren mit Kindern ist Philosophie“  legt aber stattdessen Subsumtion nahe. Abgetönt wird dies noch auf derselben Seite: „Die Theorie des Philosophierens mit Kindern steht ... mit der Philosophie (der Großen V.M.R.) in engem Kontakt.“ p. 87 – kursiv von mir. Das Bündel philosophischer Sprachspiele ist schon selber variätätenreich  ... und es gibt auch noch soziale Sprachhandlungen „drum rum“, wobei der – um im Bild zu bleiben – Grad der Verwandtschaft nicht immer schon von Beginn an feststeht.

 The  Waikiki  „Let´s talk philosophy“ Language Game


Mag. Eitzinger machte als Gaststudentin im Spring Term 2005 Feldforschung in Hawai, in der Waikiki Elementary School. Außer ihr gab es dort noch „andere StudentInnen, die kinderphilosophischen Gesprächen zuhörten“ (p. 85). Die Spielregeln wurden von Thomas E.

Jackson entwickelt, manche Anregungen von Lipmans Advancement of Philosophy for Children

(seit 1974) aufgreifend , und in dem von der Regierung von Hawai geförderten  „Philosophy in the Schools Project“ ab 1984 wurde das – ich nenne es hier so – WHYkiki praktisch. 18 Jahre lang gab es die Möglichkeit für Philosophiestudierende mit einem ersten Abschluss (B.A.), ein bezahltes Praktikum im Rahmen dieses Projekts an Grundschulen zu machen. „A sense of wonder“ sei bei

Vorschulkindern noch weit verbreitet, nehme aber bald nach der Einschulung in eine Schule ohne WHYkiki drastisch ab. Junge Schulkinder hören auf, „Wunderfragen“ zu äußern, weil sie sich in der normalen Schule damit rasch zum Gespött machten. Dem versucht eine Schule mit WHYkiki entgegen zu wirken durch Einrichten einer „Intellectually Safe Community“ - im Rahmen der WHYkiki-Stunden. Waikiki Elementary School ist noch heute eine solche Schule.

Maria Eitzinger beschreibt in dem wohl spannendsten Teil ihres Textes pp.20-33 (ergänzt durch Bemerkungen pp.57-65) diesen Ansatz und gibt dann pp. 67-87 Textbeispiele, ab p. 81 bezogen auf ihre teilnehmende Beobachtung (siehe auch p. 63f) an der  Waikiki Elementary School. Bei mir hat dies ein lebhaftes Interesse geweckt, selber bald teilnehmender Beobachter von WHYkiki zu werden. (Was ja am 3.3.2009 schon begonnen hat.)

Maria Eitzinger, Ist Philosophieren mit Kindern Philosophie?

VDM  Verlag Dr. Müller   Saarbrücken 2008

ISBN: 978-3-639-01350-4
Die Autorin heißt nun Maria Rüdisser und ist Dozentin an der PHTG in Kreuzlingen.

Samstag, 9. Februar 2013

Kein Triumph für Sokrates

Gegenstimme 1947

Sokrates, der den Sophisten immer zum Schweigen bringt – bringt er ihn mit Recht zum Schweigen? - Ja, der Sophist weiß nicht, was er zu wissen glaubte; aber das ist kein Triumph für Sokrates …
Vermischte Bemerkungen Ludwig Wittgenstein Eine Auswahl aus dem Nachlass … Ffm 1994 / 111
Witty merkt an: wenn ich etwas zu verstehen suche, bin ich doch mit dem Aufweis des Nicht-Verstehens (bei Anderen) nicht zufrieden.

Freitag, 8. Februar 2013

Sokrates mitten unter uns

Gegenstimme2005

Die jüngere Beratungswelle geht von der korrekten Annahme aus, dass (Handelnde) …, die nicht allzuviel tun können, am besten unterstützt werden von Konsultanten, die wissen, dass sie nicht allzuviel wissen. Seither ist Sokrates wieder mitten unter uns
Peter Sloterdijk , Im Weltinnenraum des Kapitals 106f
Gilt Sokrates ihm in diesem Zusammenhang als ein Spitzensophist: „Was tun, um an die Spitze zu kommen?“

Donnerstag, 17. Januar 2013

Was Sokrates weiss und nicht weiss



Ein Café Philo im Alten Schloss Bern-Bümpliz
 des Philosophentrios Mastronardi-Staude-Roth

Das scheint Sokrates zu wissen:
..., dass ja eben dies das größte Gut für den Menschen ist, ..[ ], über welche ihr mich reden und mich selbst und andere prüfen hört, ein Leben ohne Selbsterforschung aber gar nicht verdient gelebt zu werden, ...“1

Das für den 2.2.2013, 14-16  angekündigte Thema (kurz vor Fasnacht) reizt zu einem Rollenspiel. So versuche also ich mich als Sokrates. Der hatte ja, wie Sie vielleicht wissen, eine Einsagerin, die Diotima. Und er hatte eine Mutter … DAZU GLEICH / =später

Meine elektronische Einsagerin für diesen Text ist (hauptsächlich) Christine Mok-Wendt.

Mike Roth Januar 2013
MAN MUSS DEN folgenden TEXT ABER NICHT GELESEN HABEN
und kann sich auch unbelesen ins Gespräch hineinbegeben!
Sokrates selber, hat wohl mehr gesprochen als gelesen / geschrieben … Aber Manche lesen auch gern vorab etwas. Für die steht das Folgende bereit.

Wissen des Nichtwissens ?

Sokrates fragt seinen Gesprächspartner ( in Platons Dialog Theaitetos)2 , ob er gehört habe, dass er der Sohn einer tüchtigen Hebamme, der Phainarete, sei, was der Befragte bejaht. Die Frage danach, ob er auch wisse, dass Sokrates dieselbe Kunst ausübe wie die Hebamme verneint er, worauf Sokrates antwortet: „Wisse denn, dem ist so. Verrat mich aber nicht, ... denn es weiss niemand von mir, dass ich diese Kunst besitze. Da es nun die Leute nicht wissen, so sagen sie mir auch dieses zwar nicht nach, wohl aber, dass ich der wunderlichste aller Menschen wäre und alle zum Zweifeln brächte. Gewiss hast du das gehört“ [149 St 1 A] - Theaitetos bejaht. Sokrates erklärt nun ausführlich, was unter dieser 'Kunst' zu verstehen ist, dem Gesprächspartner bei der Geburt von GedankenKindern beizustehen. (Das könnte auch in einem Café Philo sein)
Die 'Kunst' beinhaltet, dass der Lehrende/Fragende den Lernenden/Befragten darin unterstützt, die Erkenntnis/Wahrheit -in einem Prozess ähnlich dem Geburtsvorgang- ans Licht zu bringen. Der Lernende wird dabei durch geschickte Fragen angeleitet, sich selbständig mit einem Problem auseinanderzusetzen, Lösungswege und Lösungen werden nicht vorgegeben, sondern sollen selbst entwickelt bzw. gefunden werden. Da das meist nicht einfach ist, kann es die Befragten in die Situation des Zweifelns an sich selbst bringen. Und 'zweifeln' wird auch die eine oder andere Gebärende, wenn sie schon ganz erschöpft ist, und das Kind immer noch nicht 'ans Licht' will... (sagt Mutter Christine)
Methodisch sieht das so aus, dass der Fragende immer wieder mit weiterem Nachfragen oder auch Zurückgeben von Fragen in der Form der 'W-Fragen' (z.B.:Warum meinst Du, dass das so und so ist?/ Was ist das, das Du da meinst?), die Befragten dazu bringt, selbst Antworten zu finden / zu geben. Es findet ein Dialog, oft ein Zwiegespräch zwischen 'Vordenker' (Sokrates) und 'Mitdenker' statt, wobei die Selbstläuterung von Beiden das Ziel ist: „...ein Philosophieren, das ... auf Prozesse des Bewusstwerdens ausgelegt ist.“3

Der Sokratische Dialog

Im 6. Kapitel „Definition, Dialektik und das Gute“ seines schmalen Bändchens PLATO beschreibt der Oxford Professor Hare4 den philosophischen Hauptpunkt von Sokrates als „Rechenschaft geben“. Darin liege der Kern des neu aufkommenden Philosophierens. Platon und Sokrates argumentieren, dass es nicht hinreiche, richtige Meinungen (orthoDOXA) zu haben. Erst wenn diese gerechtfertigt werden, können sie als sicher und zuverlässig, als WISSEN gelten: „Wenn wir die Wörter verstehen können, in denen wir die uns beschäftigenden Probleme darlegen, dann können wir für sie im nächsten Schritt begründete Lösungen suchen. Genau das ist das Anliegen der Philosophie“ (Hare verbindet diese Aussage mit einem Verweis auf Wittgensteins Lehrer Frege, der sich auf Sokrates Worte bezieht, mit der Aussage, dass das 'Wissen des Nichtwissens' vielen als Vorbedingung des Lernens fehle.) Diese Problematik sieht Hare im Dialog Euthyphron5 dargestellt. Besonders in Zeiten sittlicher oder politischer Verunsicherung kann der Anschluss an die Mehrheitsmeinung nicht ausreichen: wir müssen uns selber durchdenken / „we have to think the thing out for ourselves“6. Sokrates' Methode der 'Prüfung' (ELENCHOS) beschreibt er als ein Entlocken von Antworten. Die Antworten wurden dann ABER durch Sokrates oft zunichte gemacht, wenn er nachweisen konnte, dass diese in Widerspruch zu Behauptungen standen, die das jeweilige „Opfer“, oder sogar die Allgemeinheit, nicht aufgeben wollte. Hare  schlägt er vor, Platon so zu interpretieren, dass die Definition, die in den Selbstwiderspruch führt, abgelehnt werden muss.
Der Pädagoge Martens7 thematisiert, welche Bedeutung dem dialogisch an Argumenten und Gegenargumenten orientierten Prozess des Denkens, der durch die sokratische Methode bewirkt wird, zukommt: „Noch vor fachphilosophischen Unterscheidungen und arbeitsteiligen Einengungen einzelner Methoden und Richtungen besteht das Spezifikum des sokratischen Philosophierens aber vor allem in seiner lebensweltlichen Fülle und alltagssprachlichen Nähe,...“ und er verweist auf Adorno: „Darin, daß die Philosophie ihre Begriffe in einem so weiten Maß der von Allen gesprochenen Sprache entlehnt, hat sie ihre Beziehung auf das Ganze; so, wie es etwa Sokrates gegenwärtig gewesen sein mag, [ ], weil es Fragen sind, die alle Menschen angehen und die auch in ihrer Sprache sich behandeln lassen. Durch den Prozeß der Verfachlichung oder Spezialisierung werden auch diese Termini betroffen, diese Worte, die Sokrates noch an den Straßenecken verwandt hat, werden eingeengt.“8

Das sokratische Gespräch nach Nelson 


Leonard Nelson bezeichnet sich selbst als: „...getreuen Schüler des SOKRATES und seines großen Schülers PLATON...“9, so der Beginn seines Vortrags bei der 'Pädagogischen Gesellschaft' Göttingen, dort 1922 gehalten, anlässlich der Gründung der 'Philosophisch-Politischen-Akademie' und 1929 posthum veröffentlicht. Zentralaussage: „Die sokratische Methode ist nämlich nicht die Kunst, Philosophie zu lehren, sondern Philosophieren zu lehren, nicht die Kunst, über Philosophen zu unterrichten, sondern (uns) zu Philosophen zu machen.“ Nelson10 gilt als derjenige, der die sokratische Methode wiederbelebt habe. Bei aller Sympathie zur sokratischen Methode hat Nelson Platon/Sokrates aber auch kritisiert, da Nelson sich beim Philosophieren nicht als Andere-durch-Stromschläge-lähmender (Menon11, 80a) 'Zitterrochen' verstehen wollte. Nelsons Modifikation besteht darin, dass er sich statt um einen Zweierdialog um ein moderiertes Gruppengespräch bemüht, in dem moderierende Gesprächsleiter sich inhaltlich zurückhalten : „... hier hängt alles davon ab, die (Teilnehmenden) ... von Anfang an auf sich zu stellen, sie das Selbstgehen zu lehren, ohne dass sie darum allein gehen, und diese Selbständigkeit so zu entwickeln, dass sie eines Tages das Alleingehen wagen dürfen, weil sie die Obacht des (Gesprächsleiters) ... durch die eigene Obacht ersetzen.“12. So kommentiert Nelson die Stelle aus der Apologie: „...ausgefragt, geprüft und ins Gebet genommen...“13, als: „nicht um ihnen lehrend eine neue Wahrheit zu vermitteln, sondern nur, um ihnen den Weg zu zeigen, auf dem sie sich finden läßt.“ Dies, so scheint es, weiss Sokrates, selbst wenn er sonst nichts weiss.


>>Sich-Wundern<< - damit fängt das Philosophieren an. Sich-Wundern-Können, auch noch mit fortschreitendem Alter, und jenes >>innere Jauchzen<< (der ungewöhnliche Altphilologe Nietzsche, Anm.16) beim interessierten Verfolgen der Wechselrede, sind vermutlich die wichtigsten Quellen des Vergnügens und des philosophischen Einsicht-Gewinnens beim Café Philo.

>>Wage es nur, vernünftig zu sein [sapere aude]; fang nur an damit; wer die Stunde hinausschiebt, in der er mit dem vernünftigen Leben anfängt, der gleicht dem Toren, der wartet, bis der Fluss abgeflossen ist; aber er strömt weiter und wird in alle Ewigkeit weiterströmen.<< (Horaz, Epistolae 2, 40.)21

Literaturhinweise

Adorno, Theodor W., 1973: Philosophische Terminologie, Band 1, Frankfurt/Main

Birnbacher, Dieter und Dieter Krohn (Herausgeber), 2002: Das sokratische Gespräch, Reclam, Stuttgart


Dietz, Cornelia: Der Platonische Dialog im Rahmen der Kommunikationstheorie Gerold Ungeheuers.

Eine Hausarbeit aus dem Wintersemester 1994/95 Uni Konstanz


Hare, Richard M., 1982: PLATO , Oxford University Press, Oxford


Hare, Richard M., 1990, aus dem Englischen übersetzt v. Christiana Goldmann: Platon, Eine Einführung, 

Reclam, Stuttgart


Heckmann, Gustav, 1982: Das sokratische Gespräch 
 

Höffe , Ottfried, 2009: Aristoteles: Die Hauptwerke, Francke Verlag, Tübingen 
 

Martens, Ekkehard, 2004: Sokrates, Eine Einführung, Reclam, Stuttgart


Martens, Ekkehard, 1999: Philosophieren mit Kindern, Reclam, Stuttgart


Mittelstraß, Jürgen, 1984: Versuch über den sokratischen Dialog, in: Das Gespräch , Karlheinz Stierle und

Rainer Warning (Hg.)


Nussbaum, Martha 2011: Sokrates ist unser Vorbild, in: DIE ZEIT 20.1.2011, S. 43


Nietzsche, Friedrich: Morgenröthe. Gedanken über die moralischen Vorurteile (1881) , in: Kritische 

Studienausgabe 3, dtv / de Gruyter 1988, Neuausgabe 1999

Platon, 2007: Euthyphron, Reclam, Stuttgart

Platon: die Werke, 2. Tetralogie: Kratylos,Theaitetos, Sophistes, Politikos [148 d] ff. , nach einer Übersetzung 

v. Friedrich E. D. Schleiermacher in: Platons Werke.Zweiten Teiles erster Band. Dritte Auflage, Berlin 1856, 

bearbeitet (aus. www.opera-platonis.de )


Platon, 1994: Sämtliche Werke, Band1, neu herausgegeben von Ursula Wolf, übersetzt von Friedrich 

Schleiermacher (Apologie, 38a / S.38), Rowohlt Taschenbuchverlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Roth / Staude (Hg.) 2010: Das OrientierungsLos. Philosophische Praxis unterwegs, Hartung-Gorre, Konstanz

Roth, Volkbert M. (Hg.) 2012: Viel Glück. Philosophische Praxis 4, Konstanz

Steenblock, Volker 2012: Philosophie und Lebenswelt, Beiträge zur Didaktik der Philosophie und Ethik, Siebert, Hannover

Ich freue mich auf unsere Begegnung in Rede und Gegenrede, in der Wechselrede!


1 Platon, 1994: Sämtliche Werke, Band1 ( Apologie, 38a /S.38) www.opera-platonis.de
2Platon, 2. Tetralogie: Theaitetos [148 d] ff. (aus: www.opera-platonis.de)
3Birnbacher, Dieter und Dieter Krohn: Das sokratische Gespräch, (S.144)
4Hare, Richard M., 1990: Platon (S. 73 f.)
5Platon, Euthyphron, 2007
6Hare, Richard M., 1982: Plato, (S.41)
7Martens, Ekkehard, 2004: Sokrates (S.162 f.)
8Adorno, Theodor W., 1973: Philosophische Terminologie, Band 1, (S.48), aus: Martens, 2004
9Nelson, Leonhard, 1922 veröffentlicht: 1929: Die sokratische Methode, (S.21-72), aus Birnbacher, Dieter und Dieter Krohn, 2002: Das sokratische Gespräch
10Birnbacher, Dieter und Dieter Krohn, 2002: Das sokratische Gespräch, (S.148 f.)
11Platon, 1994: Sämtliche Werke, Band1 (Menon, 80a/ S.470/471)
12Nelson, Leonhard, 1922 veröffentlicht: 1929: Die sokratische Methode,(S.46/47), aus Birnbacher, Dieter und Dieter Krohn, 2002: Das sokratische Gespräch
13Platon: Apologie des Sokrates (übersetzt v. Otto Apelt), S.44, Leipzig: nach Nelson, Leonhard, 1922 veröffentlicht: 1929: Die sokratische Methode, (S.26), in Birnbacher, Dieter und Dieter Krohn, 2002: Das sokratische Gespräch

16Nietzsche, Morgenröthe, KSA 3, S.314 f., aus: Martens, Ekkehard, 2004: Sokrates (S.66)

21Martens, 1999:Philosophieren mit Kindern, (S.191)