Montag, 1. September 2014

Teil II Bibliotherapie und Innensicht


Die Bibliotherapie und die tägliche Praxis des Schreibens sind nichts anderes als die beiden elementaren Techniken der Beherrschung und Verwaltung des Alter(n)s“ (Volpi Einleitung, Senilia 16)

„Bei welcher Tätigkeit möchtest Du vom Tod überrascht werden? Suche sie, und wenn du sie gefunden hast, wirst du über die Richtschnur“  - da stopp ich aber und merke: nicht Schopenhauer, sondern Seneca schrieb –„wirst du über die Richtschnur für deine Glückseligkeit verfügen.  – und was ist mit der Ausgangsdiagnose, das menschliche Leben sei eine missliche Sache? Nun, sie nimmt die Form des Sinnspruchs an, wonach „das Leben eine Sache sei, die es besser ist hinter sich als vor sich zu haben“. Und Volpi kommentiert und beschließt damit seine Einleitung zu den Senilia prosaisch:  „Die Schlussfolgerung unseres zähen Pessimisten – letztlich ein gut unterrichteter Optimist – ist ziemlich einfach: <>“  Enttäuscht?  Ist das ein schlüssiger Schluss?

Aus dem Publikum eine Wortmeldung: „Wie denkt Schopenhauer über die Selbsttötung?“

Dazu findet sich auf der Seite 82 des Manuskripts (148 des gedruckten Textes): „Der so weltberühmte Monolog des Hamlet  besagt im Grunde dies: Unser Zustand ist ein so elender, dass gänzliches Nichtseyn ihm entschieden vorzuziehn wäre. Wenn nun der Selbstmord uns dies wirklich darböte, so dass die Alternative tob e or not tob e im vollen Sinn des Wortes vorläge … Allein in uns ist etwas, das uns sagt, dem ist nicht so<, es sei damit nicht aus, der Tod sei keine absolute Vernichtung.“ Und ich denke, für Schopenhauers Lösung, Verneinung des Willens, ist die paradoxe Bedingung: das geht nur bei lebendigem Leibe, klarem Kopf und wachem Mitgefühl. Vgl. auch seine Argumente in der zu seiner Zeit unpopulären Ablehnung der noch verbreiteten Praxis des Duells.

Und noch eine Fundstelle [Seite 64.6]: „Die Einheit in letzter Instanz zwischen dem Grundwesen unsers eigenen Ich und dem der Außenwelt erläutert nichts so unmittelbar wie der Traum: denn auch in diesem stehn Andere als völlig von uns verschieden da, in vollkommener Objektivität und mit einer uns von Grund aus fremden, oft rätselhaften Beschaffenheit, die uns oft in Erstaunen versetzt, uns überrascht, uns  ängstigt u.s.w. -  und doch sind wir dies Alles selbst. Eben so nun ist der Wille, welcher die ganze Außenwelt trägt und belebt, eben der in uns selbst, wo allein wir ihn unmittelbar (erleben)“

ERHEBT DAS GRAUE schmälere Bändchen „Aphorismen zur Lebensweisheit“  und liest aus der Einleitung KEIN SCHNELLER WEG ZUM GLÜCK von Georg Schwikart, der die lesbarer gemachte Neuausgabe 2009 betreute. Diese zuerst 1851  als Teil I der Parerga und Paralipomena aufgelegten Texte richten sich an ein breiteres Publikum und in ihnen wurde bald ausgiebig geschmökert (so auch von einem Lesezirkel um Wittgensteins große Schwester Gretel, die den Bruder Ludwig anhielt, Schopenhauer zu studieren). Bis in die Zeit Freuds war  Schopenhauer der meistgelesene deutschsprachige Philosoph. Sein Einfluss auf Nietzsche ist beträchtlich. „Nietzsche learned much from Schopenhauer and at first wrote admiringly about him. Later… he turned vehemently against him… Nietzsche and Schopenhauer had many similarities: they were fearless and unrelenting in their investigations of the human condition, … and abandoned all illusions about existence. Yet they arrived at diametrically different attitudes toward life: Nietzsche embraced and celebrated it; Schopenhauer was grim, pessimistic, life-negating …” so schreibt Yalom, der über jeden der beiden Philosophen “teaching novels” verfasst hat. Die zitierte Passage (und auch die folgende) ist entnommen der Amerikanischen Orginalausgabe von The Schopenhauer Cure, NY 2005, paper  back 2006, P.S. Writing The Schopenhauer Cure 11f „The more I studied Schopenhauer´s life and work, the more impressed I was by the extraordinary range and depth of his vision. It was not difficult to understand why some philosophers posit that Schopenhauer´s work contains more interesting ideas than the work of any other philosopher, save Plato.”

Aber was ist der Kerngedanke? Den umreißt Rüdiger Safranski in seiner Denkerbiographie zu Schopenhauer 299f so: „Ende 1814 oder Anfang 1815 notiert Schopenhauer in seinem (ersten) Manuskriptbuch jene Sätze, aus denen alles Weitere folgt: >>Die Welt als Ding an sich ist ein großer Wille, der nicht weiß, was er will; denn er weiß nicht, sondern will bloß, eben weil er ein Wille ist und nichts Anderes<<“ Safranski interpretiert nun wie folgt: „Der mit dem >>Ding an sich<< identifizierte Objekt< erkannte Wille sein; nicht jener >Wille<, den er noch in seiner Dissertation (in) eine der 4 Klassen der Vorstellungsobjekte (eingeordnet) hatte.“

Dort hieß es: „Die Kategorie der Kausalität ist also der eigentliche Übergangspunkt, folglich Bedingung aller Erfahrung … durch die Kategorie der Kausalität allererst erkennen wir die Objekte als wirklich, d.i. auf uns wirkend. … Wenn wir sehen, gibt es unmittelbar nur die Empfindungsdaten der Netzhauterregung, nichts anderes. Wir sehen, spüren, hören die Körper im Raum, weil wir die Empfindungsdaten am eigenen Leibe als Wirkung deuten und dafür instinktiv eine Ursache suchen, die wir in den Raum projizieren. …Eigenkörperliche Zustände müssen als Wirkung begriffen werden, damit es für uns eine Wirklichkeit gibt.“ 235f – dies ist Schopenhauers Darlegung, wie  Menschen etwas wirklich wird; ein Aspekt der TITELFRAGE dieses Philosophie Festivals.

 

Und nun wird es spannend! - „Wie konnte … Schopenhauer das Kantsche Dogma von der Unerkennbarkeit des >>Dings an sich<< aufrechterhalten und doch davon sprechen, er habe das Rätsel des >>Dings an sich<< gelöst?“ 300 „Es ist eben nicht der vorgestellte, diskursiv erkannte Wille, den er mit dem >>Ding an sich<< identifiziert, sondern der in der >>inneren Erfahrung<< ,  am eigenen Leibe gespürte Wille.“

„Die ganze Welt außer mir ist mir nur als Vorstellung gegeben. Es gibt, so Schopenhauer, nur einen einzigen Punkt, wo ich zur Welt noch einen anderen Zugang habe als den der Vorstellung. Und dieser Punkt liegt bei mir selbst.“  Siehe oben die Überlegung zu der Bedeutung der eigenkörperlichen Zustände und die Konstitution der Wirklichkeit für mich durch Projizieren einer Ursache „in Raum (und Zeit)“ als wirkend auf mich. Nun eine daran erinnernde, doch sich unterscheidende Argumentation: „Wenn ich meinen Leib sehe, seine Aktionen beobachte und erkläre, so ist dies Wahrgenommene und Erkannte immer noch Vorstellung, aber hier am eigenen Leib spüre ich doch zugleich auch jene Antriebe, jenes Begehren, jenen Schmerz, jene Lust, was alles sich auch gleichzeitig in Aktionen des Leibes meinen Vorstellungen (und den Vorstellungen Anderer) präsentiert. Nur in mir selbst bin ich zugleich das, was sich … in der Vorstellung zeigt … Nur in mir selbst gibt es diese doppelte Welt, ihre Vorder- und Rückseite. Nur in mir selbst erlebe ich, was die Welt noch ist (Wille), außer dass  sie …Vorstellung … ist. Die Welt >draußen< hat … nur ein vorgestelltes >Drinnen<, nur in mir selbst bin ich selbst dieses >Drinnen< … Innenseite der Welt.“ Aus der Unerkennbarkeit des >Ding an sich< bei Kant ist bei Schopenhauer die leibliche Gewissheit geworden, dass mein Leib will. Wille bleibt als ANsich des Menschen übrig. Schopenhauer setzt auf die unmittelbare Erkenntnis: „Identität meines Leibes (und seiner Aktionen) mit meinem Willen (ist) eine unmittelbare Erkenntnis“ (1814 ins Manuskriptbuch HN I geschrieben) 308



 

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