Samstag, 16. April 2011

SternStunden Philosophische Praxis

Sternstunde Philosophie Schweizer Fernsehen 27. Juni 2010


„Denken fürs Leben – Philosophische Praxis“ Martina Bernasconi (MB) und Roland Neyerlin (RN)im Gespräch mit Norbert Bischofberger (aufgezeichnet am 26. Juni 2010)

http://www.videoportal.sf.tv/video?id=d4216519-b7aa-48d8-b5eb-f09ad2c12f43

MB:
- Missen des Bezugs zum Leben im Studium
- Kennenlernen der Bedeutungen der Begriffe durch Philosophen der Geschichte
→ die Begriffe und Bedeutungspositionen müssen reflektiert und neu gedeutet werden
RN:
- „Leben als Dauerprovisorium“ → Sinn-, Identitäts-, Orientierungsfragen
- wieviel Rezepte kann die Philosophie liefern?
- „Philosophie hat keine Rezepte“
- Weit verbreitetes Gefallen an Rezepten zur Problemlösung
- Spezifisches unserer Zeit?
 Wegbruch des Metaphysischen
MB:
- Identitätsbestimmung, 'wer bist Du?', durch Beruf, etc., war vor 30 Jahren leichter
 heute, pluralisierte Identität(en)
RN:
- antike Form der Philosophie: Lebensberatung zur Lebenskunst in Dialogform
- Enststehung in der griechischen Antike in Zeiten des Umbruchs und der Unsicherheit
- Parallelen besonders zu heute?
FRAGE: - Was ist eine Philosophische Praxis?
- deckt ein breites Spektrum ab (MB)
 vordergründig eine beratende Tätigkeit

RN:- 'Praxis' = 'Handlung'
- Philosophische Praxis: das Denken, als Handlung, als Vollzug
- Einübung der Kompetenz des Selbst
- kein bloßer Wissensverkauf
- Neyerlin als philosophischer Handelsreisender 'never ending tour'
MB:- was für Möglichkeiten bietet mir mein Denken, bzw. biete ich mir (analog zu Körperteil beim Arzt) „Was ist mit meinen Beinen?“
- philosophisches Gehen-Lernen „Wohin können mich die Beine tragen?“
NR:- Philosophie/ren: - Selber-Denken
- Wissenschaftliche Disziplin: Philosophie
letzteres folgt immer aus ersterem
keine (notwendige) Verbindung von beidem: man kann viel Philosophieren,
ohne jemals eine PHILOSOPHIE aufzuschreiben

FRAGE:- Was nützen Erfahrungen aus dem Studium?
- Die Frage wurde von ... behandelt, der sah das so und so, damit habe ich mich schon befasst
- Was sind meine Werte, Überzeugungen, ... ? → Orientierung
RN:- Haltung der ernsthaften Auseinandersetzung
- Wir (Normalos) straucheln zwischen Fundamentalismus und Beliebigkeit
- Philosophische Praxis darf nicht beliebig sein
- Wir wollen herausfinden
- mitunter schwierig: Besucher des Cafés, die schlicht unterhaltsamen Event suchen
- Unterschied: Philosophische Praxis → Begriffsklärung
Stammtisch ~ Meinungskundgebung
- Philosophie ist / bedingt: Innehalten, Zeit nehmen, Kontemplation
MB:- Die Praxis bietet 'Ausstieg', 'Aus-Zeit', 'Zeit-/Raum-Gebung'
- Zeiten des Umbruchs bringt Nähe zur Philosophie, da die Situation der Schaffung neuer Räume des Rückzugs, der Orientierung, Klärung, Überlegung bedarf
- Das Elfenbeinturm-Klischee-Problem
- auch explizites Sprechen über Theorien und Geben theoretischer Inputs
- Vertiefung durch Dialog
- In die psychotherapeutische Praxis schleicht Manche sich hinein (Label: krank, verrückt)
- gewisser Stolz der Kunden der PP
RN:- Schaufenster-Projekt verbindet Privat und Öffentlich
- PP ein hoch politisches Projekt
- es besteht gemeinhin eine mangelhafte Gesprächskultur
- Politik verwechselt Diskussion und Gespräch
- 1. Analyse - Moderation, Operation, Monolog / „Notwendigkeit“ - Wissenschaft
2. Diskussion - vorher fest verteilte Standpunkte - Schlagabtausch
3. Gespräch - offen
4. Therapie
- Das Gespräch birgt das Risiko in sich, dass sich der Standpunkt, den ich eigentlich halten will/wollte, nicht mehr halten lässt.
- Inflationärer Gebrauch von 'Gespräch'
- Sich-Einlassen
- Bildung von Gemeinsamkeit
- Nicht wissen , wohin es geht
- Liebe zur Begegnung
- Lieber betrachten der Vielseitigkeit der PP als strikte Abgrenzung zu anderen Disziplinen
- Handeln statt Behandeln
- keine Heilung
- nicht nur ein Referenzpunkt/-system vorhanden
- Entstehung aus Begegnung
- Orientierungslosigkeit durch Versagen der Systeme/Institutionen
- Ich gebe nichts konkretes, kein Rezept
MB: - Offenheit im Setting
- KEIN Verfügungswissen in PP
- gemeinsamer Sprung in den Ozean / bungee jumping
- keine Methode
RN; - Menschen sind nicht nur therapeutische Objekte
- // Psychotherapie kann keinen Sinn geben
- Philosophie hat verschiedene Zugänge
- Philosophie verschafft Ich-Ferne, Psychotherapie will Ich-Nähe herstellen
- Ich-Ferne durch Wanderung
MB:- andere Form der Suche bietend
- sinnlos Glücklich
- der glückliche Sisyphos
RN:- Sinn ~ Weg
- extreme Beratungskultur für alle Bereiche
- ich lasse mich beraten
- sich beraten ; wir uns , ich mich
- Einübung der Kompetenz der Selbstberatung
- PP ist kein Berater
- Stehen und Fallen mit der Person/Persönlichkeit
- Leidenschaft für die Begegnung und das Gespräch
- Authentizität
- Das sich-Einlassen
- Geschäftssinn
- Neyerlin der bunte Hund
 Ich bin der Weg (wenn auch nicht DIE Wahrheit), jedoch das Leben . . .


Max Otto im Blockseminar Methoden Philosophischer Praxis ,
Universität Konstanz April 2011

Aus Mike Roths Einleitung zur Podiumsdiskussion mit Martina Bernasconi, Anette Fintz, Florian Huber und Detlef Staude 9.4.2011:
Es gab und gibt meines Wissens kein mediales Ereignis, das eine vergleichbare positive Wirkung für das Bekanntmachen PHILOSOPHISCHER PRAXIS hatte
wie die Sendung vom 27, Juni 2010:
http://www.videoportal.sf.tv/video?id=d4216519-b7aa-48d8-b5eb-f09ad2c12f43

Da sagt etwa Roland Neyerlin (Stelle: 20:24):
DENKEN IST EINE ERNSTE ANGELEGENHEIT
und er erinnert an die Dreiteilung (dem Sinne nach)

1 Philosophie und Wissenschaft (methodisch vorgehende Darstellung von Wissen)

2 ÜBERREDUNG ==> viele „öffentliche Diskurse“ haben diesen eristisch-sophistischen Charakter

3 P H I L O S O P H I E R E N im ergebnisoffenen und an Selbstverständigung interessierten Gespräch. Man ist sich einig: Wir wissen noch nicht … doch bemühen uns gemeinsam darum, unhaltbare Positionen zu überwinden.

Vom akademischen Philosophen FIGAL (Uni Freiburg i.B.) und vom „Erfinder“ der modernen >Philosophischen Praxis< ACHENBACH (Bergisch Gladbach/Nähe Köln-Bonn) sind Hörbücher zu Sokrates in Umlauf. Beide sind sich einig, dass „Der, mit dem es anfing“ (das eine, wie das andere – und den Karl Jaspers einen „maßgebenden Menschen“ nennt) – nicht durch ein Werk (in von ihm geschriebenen Büchern) wirkt, sondern durch seine lebenslange Tätigkeit, das Philosophieren. In der Darstellung durch seinen Schüler PLATON in dialogischen Vorlese-Stücken folgen Sokrates und seine Mitspieler einem Muster, dem ELENCHOS (argumentierender Nachweis), einer frühen Form dialogischer Logik (Vgl. Paul Lorenzen & Kuno Lorenz). Dieses halbformale Verfahren führt ja nicht zum Wahrheitsbeweis, vielmehr zur Widerlegung des grundlos für wahr Gehaltenen. (Karl Popper vorwegnehmend)

In derselben Sternstunde-Sendung zur Philosophischen Praxis bekennt Martina Bernasconi, sie habe für Beratung in Philosophischer Praxis „kein Verfügungswissen“ und sie nennt dies auch „keine Methode“. Gleichwohl haben beide hier anwesende Philosophinnen klar strukturierte Beiträge ins METHODEN-Handbuch 2010 gestellt und sie betonen, stets die Gelegenheit beim Schopf zu fassen, für ein gelingendes Gespräch in der PHILOSOPHISCHEN PRAXIS mit den Philosophierenden „Begriffe zu klären“. Wenden sie in diesem Sinn doch eine (eine sprachphilosophische) Methode an?
Auch ich beginne mit einer Begriffsbestimmung, vgl. Paul Lorenzen, Methodisches Denken:
Freigestellt (man darf),
verboten (man darf nicht)
geboten (Du sollst) wie in den 10 Geboten, möglichst mit überzeugenden „guten“ Gründen - dies bezieht sich auf Handlungsweisen. Hier geht es um Handlungsnormen, „Maximen“ des Handelns, die nach Kant so zu gestalten seien, dass sie „zum allgemeinen Gesetz“ werden könnten. Die Entsprechung im Bereich der Sachverhalte, gefasst in Aussagesätzen, ist:
möglich / (freigestellt)
unmöglich / (verboten)
notwendig. (geboten)

Alles Handeln kann sich nur im Bereich des Möglichen bewegen – hin zum Wirklichen. Von Handeln sprechen wir nur, wo Handlungsalternativen bestehen.
Diese können aber mehr oder weniger gut begründet sein. Darum geht es heute.
In dieser Überlegung wurde der Methode der Modallogik gefolgt. Und sie dient auch zur Hinführung auf das Vormittagsprogramm:

Hat Philosophische Praxis Methode(n) ?

A Ist es freigestellt, Methoden
 wenn ja, welche ?
- in der Philosophischen Praxis einzusetzen?
(das bedeutet: es gibt keine Gründe, aus denen es sich verbietet, oder schwächer: nicht empfiehlt)

B Ist es verboten, Methoden
 wenn ja, welche ?
 in der Philosophischen Praxis einzusetzen?
Und mit welchen Gründen?

C Ist es geboten, Methoden
 wenn ja, welche ?
 in der Philosophischen Praxis einzusetzen?
Aus welchen Gründen?

Zufällig sind es die zwei Philosophinnen, die von sich sagen, sie folgen in ihrer Beratungspraxis keiner Methode. Hingegen eröffnen ja die beiden Philosophen den Reigen der Beiträge im Handbuch:Methoden Philosophischer Praxis (2010) mit ihrem Chat zur Bedeutung von Methoden in der Philosophischen Praxis, worin sie sich austauschen über methodisches Vorgehen in ihrer Praxis. Zu meiner Freude sind 4 in eigener Praxis Tätige der Einladung zu dieser öffentlichen und aufgezeichneten Diskussion gefolgt und sie werden in ihren Redebeiträgen zugleich den Zuhörenden einen Eindruck davon geben, was denn (eine) philosophische Praxis ist.

Ich stelle sie Ihnen vor.

Dr. Anette Fintz ist Absolventin dieser Universität. Sie gründete und leitet das Radolfzeller „Institut für Sinn-orientierte Beratung“ (ISOB) und versteht sich heute nach einer Zusatzausbildung als PHILOSOPHIN IN DER WIRTSCHAFT.

Martina Bernasconi studierte Philosophie, Literatur und Medienwissenschaft in Basel, Berlin und New York. Sie betreibt recht erfolgreich und vielseitig seit 2003 in Basel die Philosophische Denkpraxis.

Florian Huber ist Magister der Philosophie und Doktor der Psychologie. Er lebt und arbeitet als freier Philosoph in eigener Praxis (Schwerpunkt Lebensberatung) – am schönen Chiemsee. Er leitet das von ihm initiierte „Rosenheimer Institut Gesundheit & Bildung“.

Detlef Staude ist Koordinator des Netzwerks „philopraxis.ch“ (zu dem auch Bernasconi, Fintz und Roth gehören). Er führt seit 1997 die Philosophische Praxis PHILOCOM in Bern und ist viel unterwegs. Er fährt heute mittags weiter zu einem Café Philo nach Chur. Seit 2009 ist er auch im Vorstand des neuen Berufsverbands Philosophische Praxis, der ein Ausbildungsangebot Philosophische Praxis vorbereitet.

Moderation: Mike Roth. Privatdozent für Philosophie an der Universität Konstanz.

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